Weinrache
ein Büro in Berlin«, fuhr die Architektin fort. »Dort lernte er einen gebürtigen Wiesbadener Kaufmann kennen, der mit einer Berliner Operndiva namens Stella verheiratet war. Der Kaufmann beauftragte Breuer, eine Villa für seinen Altersruhesitz zu entwerfen.«
»Und der Ruhesitz sollte in Wiesbaden liegen«, ergänzte Norma. »Reiste Breuer hierher, um die Pläne auszuführen?«
»Dazu hatte er keine Gelegenheit mehr«, erzählte Franziska Katz weiter. »Breuer verließ Deutschland. Er ging zuerst nach London, bald darauf in die Vereinigten Staaten. Der Bau der ›Villa Stella‹ wurde, wenn auch nach Breuers Plänen, von einem unbekannten Wiesbadener Bauleiter ausgeführt. Breuers Name tauchte gar nicht mehr auf. Das Haus war kaum fertig, da gerieten die Bauherren in einen tödlichen Autounfall.«
»Die ›Villa Stella‹ scheint ihren Besitzern kein Glück zu bringen«, warf Norma ein. »Was geschah danach mit dem Haus?«
»Das Ehepaar war kinderlos, und der Erbe, ein weitläufiger Verwandter, verkaufte die Villa. Sie ging in den Jahren danach durch viele Hände, und Marcel Breuers Spur verlor sich.«
Den Ausgang der Geschichte meinte Norma zu kennen. »Bis Moritz Fischer auf dieses Kleinod der Architektur stieß!«
Franziska Katz stellte das Lächeln schlagartig ein. »Man soll Toten nichts nachsagen, und ein so grausiges Ende hatte Fischer nicht verdient. Aber was die ›Villa Stella‹ betrifft, schmückte er sich mit fremden Federn.«
»Soll das heißen, es war nicht Fischer, der die Bedeutung der Villa aufdeckte?«
Franziska Katz musterte sie aufmerksam. »Sind Sie wegen Breuers Bauhausvilla zu mir gekommen?«
»Nein, ich hatte nicht erwartet, dass Sie so genau Bescheid wissen. Das ist merkwürdig. Eine Menge der Ereignisse, die mich in letzter Zeit in Atem halten, scheinen auf irgendeine Weise mit diesem Haus verknüpft zu sein.«
Norma kam ein Bild in den Sinn. Darin erschien ihr die ›Villa Stella‹ als ein Labyrinth aus Hinweisen und Vermutungen, und sie müsste nur den richtigen Eingang finden, um die Zusammenhänge zu begreifen.
Die Architektin wies auf ein braunes Ledersofa. Das hoch angesetzte Fenster darüber war von Regentropfen verschleiert. »Wollen wir uns nicht setzen?«
Sie bot Norma einen Platz auf dem Sofa an und zog sich selbst einen Bürostuhl heran.
»Entwerfen Sie auch Wohnhäuser?«
Franziska Katz lachte leise. »Täglich die wunderschönsten Häuser. In meiner Fantasie! Manchmal auch auf einer Skizze. Meine Brötchen verdiene ich stattdessen mit Um- und Ausbauten. Dazu kommen Renovierungen und einiger Kleinkram. Es reicht zum Auskommen, und ich mag das Leben hier im Westend. Das Wichtigste ist, mir redet keiner rein. Auf einen selbstverliebten Chef kann ich verzichten.«
»Zum Beispiel auf einen Chef wie Moritz Fischer? Sie haben für Fischer gearbeitet, nicht wahr?«
»Als Praktikantin und mehrmals in den Semesterferien«, bestätigte Franziska Katz. In ihren klaren Blick mischte sich eine Spur Misstrauen. »Sie sind Privatdetektivin. Das steht auf der Karte, die Sie hier gelassen haben. Hat ihr Besuch mit dem Mord zu tun?«
Eine Frage, die eine gründliche Überlegung wert war, dachte Norma und erklärte, sie sei sozusagen ihr eigener Auftraggeber und aus persönlichen Gründen gekommen. »Bei Fischer haben Sie mit einem Studenten zusammengearbeitet. Konstantin Sundermann. Kannten Sie ihn näher?«
Franziska Katz neigte den Kopf und vergrub die Hand im dunklen Haarschopf. »Wie gut kannte ich Tiri? Das habe ich mich oft genug gefragt! Ich war eine unscheinbare Studentin und er der Liebling aller Professoren. So begabt! Ich war bis über beide Ohren in ihn verliebt und litt stumm vor mich hin. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass er mich überhaupt zur Kenntnis nahm. Ich war pummelig, fand mich hässlich und langweilig.«
Zu ihrer Verwunderung und ihrem Glück wurden sie ein Paar. Sie schmiedeten euphorische Zukunftspläne, wollten gemeinsam Architekturgeschichte schreiben wie Breuer und Gropius.
»Um Spuren zu hinterlassen?«, warf Norma ein und lehnte sich im Sofa zurück. Das Leder war weich und anschmiegsam.
Franziska Katz sah überrascht auf, ohne die Finger aus den Haaren zu nehmen. »Spuren! Das war sein hochgestecktes Ziel, ja. Sie haben ihn getroffen?«
»Ich kenne ihn kaum«, antwortete Norma ausweichend.
Die Architektin schlug vor, sich zu duzen, wenn sie schon persönliche Details austauschten. »Tiri war einsam. Seine Eltern wollten oder
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