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Weinrache

Weinrache

Titel: Weinrache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Kronenberg
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Erwartungen, die der durchaus forsche Preis weckte. Nein, korrigierte Lutz, der ein kritischer Feinschmecker war, sein erstes Urteil. Das Essen war hervorragend. Norma stimmte ihm zu und ließ sich die vegetarische Platte schmecken. Zufrieden winkte er den Kellner herbei und trug sein Anliegen vor. Der Junge verkündete zuvorkommend, er wolle den Geschäftsführer rufen.
    Lutz reichte Norma die Dessertkarte. »Wie wäre es mit einem Nachtisch?«
    Genau genommen sei sie satt, meinte Norma und vertiefte sich trotzdem in die Karte. Sie saß mit dem Rücken zum Tresen. Lutz schaute an ihr vorbei. Ein Mann trat aus der Küche heraus und näherte sich mit geschmeidigen Schritten. Athletische Figur. Ausgeprägte Gesichtszüge. Gepflegter schwarzer Anzug. Die Frisur schwächte die seriöse Erscheinung ab. Lutz empfand so straff aus der Stirn gebürstetes Haar als proletarisch, und das umso mehr, wenn das Haar voll und dunkel bis in den Kragen reichte. In dieser Hinsicht war seine Einstellung, gelinde gesagt, konservativ. Ein persönlicher Tick, den er sich zubilligte. Undine würde der Mann gefallen. Sie wäre fasziniert von den düsteren Raubtieraugen und würde sich fragen, aus welchem Nahkampf die Narbe am Kinn stammen mochte. Vermutlich hatte er sich beim Rasieren zu tief geschnitten.
    Dieser Mann war kein Unbekannter. Lutz hatte ihn bisher zwei Mal gesehen, im ›Maldaner‹ und später beim Römertor, und er fragte sich, was Bruno Taschenmacher bewogen haben mochte, einem Galgenvogel das neue Restaurant anzuvertrauen. Norma war mit dem Nachtisch beschäftigt und ahnte nichts von seinem Blitzurteil. Im Stillen vernahm er ihr aufgebrachtes Plädoyer. Ihr Widerspruch wäre ihm sicher. Man müsse jedem Menschen eine ehrliche Chance geben, war eines ihrer Prinzipien, die sie engagiert vertrat.
    Der Mann blieb abwartend stehen. Sein Lächeln wirkte zurückhaltend. »Mein Name ist Sundermann. Was kann ich für Sie tun?«
    Norma fuhr herum.
    Sundermann straffte die Schultern. »Norma! Woher weißt du …?«
    Norma legte die Karte aus der Hand. Sie lächelte erfreut. »So ein Zufall. Die Überraschung ist ganz auf meiner Seite, Tiri.«
    Sundermann schien irritiert.
    Lutz wollte eine peinliche Pause vermeiden. »Bitte nehmen Sie Platz. Sind Sie ein Kollege von Norma? Ein Privatdetektiv im Nebenberuf vielleicht?«
    Der Mann setzte sich. »Wie kommen Sie darauf?«
    »Ich habe Sie neulich in der Nähe des Römertors gesehen. Sie haben jemanden fotografiert.«
    Norma beugte sich verblüfft zu Lutz hinüber. »Du hast Tiri bei der Brücke gesehen? Wen hast du außerdem bemerkt?«
    »Na, diese Frau natürlich! Diese Türkin oder Muslimin.«
    »Hast du die Frau erkannt?«
    »Aber nein!« Er verspürte das Bedürfnis, sie zu beruhigen. »Worum ging es überhaupt?«
    Tiri lächelte, durchaus charmant, wie Lutz zugeben musste. Nur die Raubtieraugen legten ihren lauernden Ausdruck nicht ab. »Eine Art Übung, nichts Wichtiges. Norma weiht mich in die Geheimnisse ihres Berufes ein. Ich bin ein interessierter Hobbydetektiv.«
    Sie hob ihr Glas und prostete Sundermann zu. Mit einem Blick, der Lutz einen Stich versetzte. Er fuhr mit einer barschen Aufforderung dazwischen. »Können wir das Geschäftliche bereden?«

32
    Dienstag, der 12. September
     
    Der Spätsommer hatte an Kraft verloren. Seit der Trauerfeier hielt sich das Wetter kühl und regnerisch. Norma wandte sich von einer Windböe ab, als sie an der Schwalbacher Straße auf Grün wartete, und flüchtete sich über die breite Fahrbahn in den Schutz der Wellritzstraße. Nach wenigen Schritten fühlte sie sich wie von Zauberkraft in eine andere Stadt versetzt, so auffallend war der Gegensatz zwischen den Einkaufsstraßen in der Innenstadt mit ihren braven Geschäften und Filialen und diesem bunten Bild der Bars und Boutiquen, kleiner Kaufhäuser und Gemüseläden, die sich hier auf beiden Straßenseiten aneinander reihten. Die Wellritzstraße war die Lebensader des Wiesbadener Westends. Hier wohnten türkische Familien und türkischstämmige Deutsche in Nachbarschaft mit anderen Nationalitäten und alteingesessenen Hessen.
    Es regnete nicht mehr. Norma umrundete eine Gruppe junger Mädchen, die lachend und schwatzend vor einer Boutique mit Brautmoden beieinander standen, und überquerte die Straße. Dort neben dem Dönerimbiss lag der Eingang zu jenem Hinterhof, in dem Franziska Katz ihr Architekturbüro führte. Das Mädchen hatte Wort gehalten und Normas Karte weitergereicht. Am

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