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Weinzirl 02 - Funkensonntag

Weinzirl 02 - Funkensonntag

Titel: Weinzirl 02 - Funkensonntag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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Flasche Südtiroler Weißburgunder aus Terlan und
erzählte. Von Gerhards Haggenmüller-Theorie, von ihrer Lawinen-Theorie, von
Frau Cavegn und Heini und von ihrer Entdeckung, dass Irene Seegmüller, die
Freundin eines der Lawinenopfer, Quirins Schwester war. Es dauerte etwas, bis
Andrea Jos wirre Rede verstand.
    »Andrea, das kann alles kein Zufall sein! Steffen Schaller war in
der Lawine, bei der Adi Feneberg Leiter der Lawinenkommission war. Seine
Freundin ist die Schwester von dem Typen, der den Funken bewacht hat, in dem
die Leiche von Adi Feneberg lag. Was hat das zu bedeuten?«
    Andrea nippte am Wein. Was Jo an ihr immer so schätzenswert fand,
war ihre Pragmatik, aber auch ihre Offenheit. Sie ließ alle Gedankenspiele zu.
    »Lassen wir mal diese Fragen weg«, meinte Andrea schließlich. »Wir
kennen weder Irene noch Steffen. Aber wir, du, kennst Quirin. Wer also ist
Quirin Seegmüller?«
    Jo dachte nach. Wer war Quirin? Er war dünn, fast sphärisch. Er war
androgyn – er war ein komischer Typ. Er hatte sie seltsam berührt. Sie
erinnerte sich noch genau an seine Worte: ›Wir haben Herz-Rhythmus-Störungen.
Unsere Herzen sind aus dem Takt.‹ Das hatte er gesagt. Jo versuchte, ihre
ersten Gedanken von damals abzurufen. Was war ihr erster Impuls gewesen? Sie
hatte gedacht, er rede so, weil er ein bisschen zu viel beim Schul-Theater
mitspielte. Jo sah Andrea an.
    »Ich dachte, er schauspielert. Er hat extrem pathetisch gesprochen.«
Jo gab ein paar Kostproben seiner Sätze.
    Andrea überlegte. »Vielleicht war es gar kein Pathos. Denk an seine
Sprache, aus ihr spricht Intelligenz und Konzentration. Seine Sprache ist
geschliffen, aber sie ist doch auch von großer Klarheit. Eigentlich extrem klar
für einen jungen Typen!«
    »Ja, eben! So redet man doch nicht als junger Mann, auch wenn man
noch so intelligent ist!«
    Andrea schnippte mit den Fingern an ihrem Glas. »Er hat dich
manipuliert, glaube ich. Wir manipulieren alle, wir agieren hinter Masken, wir
verstecken arme, schwache, unsichere Kreaturen. So einer könnte Quirin sein.
Deshalb sind Menschen wie dieser Quirin so verführerisch, weil sie diese
absolute Gewissheit ihrer selbst verströmen. Es macht sie anziehend und
abschreckend zugleich. Wir fühlen uns angezogen. Ich sage bewusst: wir. Wir,
die wir Ende dreißig sind. Selber kinderlos. Wir wollen die Jugend verstehen,
weil wir doch selber noch so jung sind. Oder wir wollen die Kids verstehen,
weil sie theoretisch unsere Kinder sein könnten und weil wir theoretisch
besonders gute Eltern sein würden. Verständnisvoll und jung geblieben – eben
nicht die Eltern, die diese Kids haben. Das kann gefährlich werden. Das ist eine
Falle!«
    »Okay! Lass uns sagen, ich bin in diese Falle getappt. Aber wie
konnte er mich glauben machen, er wäre wirklich seiner selbst sicher? Ich habe
Quirin das abgenommen, wieso denn nur?«
    »Weil du es glauben wolltest. Diesen Quirin umgibt, so wie du das
schilderst, eine seltsame Aura. Was ist, wenn er das, was er gesagt hat,
einfach so gemeint hat? Kein Pathos? Eher ganz schön düster, oder? Dieser
Quirin ist nicht so selbstsicher. Im Gegenteil, er scheint sehr verletzlich zu
sein.«
    »Ja, gut, okay. Aber was hat das alles mit Adi Feneberg zu tun?«
    »Tja, gute Frage. In einem gebe ich dir unumwunden Recht: Das mit
Steffen, Irene, Quirin kann kein Zufall sein. Aber wie passt da dein Adi
Feneberg dazu? Kannte er die drei? Steffen muss er ja wohl gekannt haben.
Vielleicht geht es um ganz was anderes? Wir sind doch schon viel zu abgeklärt,
um hinter die Dinge zu sehen!«, sagte Andrea, die wusste, wovon sie redete.
    Sie hatte in Berlin auch als Streetworkerin gearbeitet. Sie hatte
mit S-Bahn-Surfern zu tun gehabt. Mit Kids aus dem Marzahn-Underground-Milieu
genauso wie mit Grunewalder-Luxus-Jugendlichen. Und immer war es tief drinnen
um starke emotionale Verletzungen gegangen. »Ich glaube, die Kids haben keine
so großen Illusionen, wie wir sie hatten. Sie wollen den Wahnsinn des Lebens
auch nicht einfach so hinnehmen. Sie kommen mir gar nicht so feindlich vor, nur
kritisch.«
    »Jemanden umzubringen, ist aber ganz schön feindlich«, fand Jo.
    »Genau das ist das Problem! Die Verletzlichkeit und die Traurigkeit
nehmen zu. Das Fass, das zum Überlaufen gebracht wird. Und dann ist die
Reaktion total unverhältnismäßig. Denk an jugendliche Amokschützen.«
    Jo war seltsam beunruhigt. Sie hatte eine vage Ahnung, dass
irgendetwas mit Quirin nicht stimmen konnte. Sie

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