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Weinzirl 02 - Funkensonntag

Weinzirl 02 - Funkensonntag

Titel: Weinzirl 02 - Funkensonntag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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hatte den Hang gut gemeistert und war
neben Heini auf einer Kuppe abgeschwungen. Soweit war alles perfekt gelaufen,
Mindestabstände waren eingehalten worden. Das Hangende hatte nicht in einer
Mulde gelegen, was bei eventuellen Schneebrettern gefährlich sein konnte.
    Dann war ein Steffen Schaller, einundzwanzig, ein junger Mann aus
Oberstdorf, in den Hang eingefahren und hatte begonnen, eine Zöpfchenspur neben
die des Bergführers zu legen. Steffen wurde als sehr guter Skifahrer bezeichnet,
und Gerhard konnte sich die Szene gut vorstellen. Steffen hatte eine Spur
gelegt, die einfach perfekt geformt war, eine, die man betrachtet und dabei den
Kopf in den Nacken legt, die Augen gegen die Sonne zukneift und stolz ist. Ein
Tiefschnee-Erlebnis, das einfach glücklich macht. Wenn man unten ankommt!
    Kurz darauf nämlich war das Ehepaar Peter und Brigitte Kürten, beide
vierzig Jahre alt, beide aus Ulm, völlig gegen die Anweisung von Heini weit
nach links in den Hang geschossen. Weit hinaus über eine Rippe, dahin, wo der
Hang deutlich steiler war und im Untergrund verbuscht. Heini hatte das
natürlich gewusst, hatte noch hoch geschrien, sofort wieder retour zu kommen,
als der Hang abgegangen war. Großflächig, gewaltig, mit einem Donnergrollen. Es
war dunkel geworden. Abigail Baxter gab an, sie habe geschrien in Todesangst.
Als der Hang zum Stillstand gekommen war, waren drei Skifahrer verschüttet,
denn die Lawine hatte auch Steffen Schaller noch erwischt.
    Heini hatte per Handy sofort die Bergrettung informiert. Einige
wertvolle Minuten gingen verloren, weil Abigail Baxter eine Panikattacke
bekommen und versucht hatte, in panischer Flucht einfach abzufahren. Es war
Heini nur mühsam gelungen, sie in eine Alu-Wärmedecke zu hüllen und soweit zu
beruhigen, dass sie einfach nur ruhig sitzen blieb. Nach eigenen Aussagen im
Prozess hat sie sich später furchtbar geschämt, denn auch sie hätte ja bis zum
Eintreffen der Suchmannschaften mit ihrem Lawinen-Piepser nach den
Bergkameraden suchen können. So war Heini losgezogen und tatsächlich mit seiner
Sonde fündig geworden.
    Die Lawine hatte eine ziemliche Mächtigkeit gehabt. Als der
Hubschrauber den Rettungshund, den Hundeführer und vier weitere Retter –
darunter auch Adi Feneberg – abgesetzt hatte, hatte Heini erst einen Skistiefel
frei gelegt. Sie hatten die Frau geborgen – tot! Auch den Mann hatten sie
unweit davon entdeckt, ebenfalls tot. Es waren gut anderthalb Stunden
vergangen, als Asta, die belgische Schäferhündin und ausgebildete
Lawinenhündin, anschlug.
    Gerhard hatte sich sein obligatorisches Weißbier eingeschenkt und
starrte auf die erkaltete Pizza. Manche Gefühle und Erfahrungen – so alt sie
auch sein mögen – brechen plötzlich durch. Erreichen die Oberfläche wie Lava
aus einem Vulkan, von dem man annahm, er sei längst erkaltet. Er hatte einmal
als Zwanzigjähriger an einer Suchaktion in St. Anton teilgenommen, und was ihm
jetzt die Kehle zusammenschnürte und Tränen nach oben trieb, das hätte gestern
gewesen sein können. Es war eine typische Hochgebirgslawine gewesen, die in
einer Höhe von über zweitausendfünfhundert Metern abreißt und den Wald einfach
vernichtet. So eine Lawine hat ungefähr dreihunderttausend Tonnen, Bäume knickt
sie wie Streichhölzer ab, und oft sind solche Lawinen viel gefährlicher, weil das
zusätzliche Material den Umfang und das Gewicht erhöht: Eine gewaltige
Zerstörungskraft, die damals einen alten Bauernhof weggefegt und fünf
Menschenleben gekostet hatte!
    Gerhard nahm einen tiefen Schluck aus seinem Glas und beugte sich
wieder über seine Unterlagen. Die Helfer hatten im Walsertal nach exakt
siebenundneunzig Minuten Steffen Schaller geborgen, bewusstlos, nur mit
minimalen Erfrierungen an den kleinen Fingern. Ein echtes Wunder.
    Danach war die Maschinerie in Gang gekommen. Die Staatsanwaltschaft
hatte wegen Fahrlässigkeit ermittelt und Heini schließlich von jeder Schuld
frei gesprochen. Nicht zuletzt die Aussagen von Abigail Baxter und Steffen
Schaller hatten dazu geführt. Denn sie hatten glaubhaft machen können, dass die
einzige Fahrlässigkeit auf Seiten der Kürtens gelegen hatte. Und die waren tot!
    Im Bericht stand, dass ausgebildete Gutachter Schneeprofile gegraben
und Heini entlastet hatten. Der Knackpunkt des Ganzen war immer die
Lawinenwarnstufe gewesen. Die Lawinenkommission um Adi Feneberg hatte »drei«
angegeben, und auch Gerhard fand, dass Heinis Routenwahl in der

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