Weinzirl 02 - Funkensonntag
sah ihn vor sich, als er
gesagt hatte: ›durchgefallen bei der PISA -Studie
für Eltern‹. Jo erinnerte sich an seinen Sarkasmus. Er schien keine hohe
Meinung von der Welt der Erwachsenen gehabt zu haben. Und Adi war Teil der
Erwachsenenwelt. Dieser Adi Feneberg war schuld am Unfall von Steffen, dem
Freund seiner Schwester. Und Quirin war einer, der Zugang zum Funken gehabt
hatte. Jederzeit. Was fehlte, war die Geschichte dazu! Was fehlte, waren
Zusammenhänge. Es musste aber welche geben.
»Lass uns darüber schlafen!«, sagte Andrea gähnend, die fast schon
eingenickt war.
Sie besaß die beneidenswerte Eigenschaft immer und überall in jeder
Lage schlafen zu können. Sie war einer der Menschen, die bei Langstreckenflügen
ein Glas Rotwein tranken, sich das Kissen an die Backe pressten und zehn
Stunden schliefen. Andrea erwachte dann wie das blühende Leben, Jo dagegen sah
aus wie ein Zombie. Sie konnte dann nämlich nicht schlafen, und auch jetzt
wollten die Gedankenwirbel nicht aufhören. Jo stand wieder auf und füllte eine
Waschmaschine. Kopfschüttelnd betrachtete sie die Socken in einem »Krätta«
neben der Maschine. Sockenwaisen, weil Waschmaschinen ja bekanntlich
Einzelsocken fressen. Sockenwaisen, die Jo seit ungefähr einem halben Jahr
einem äquivalenten Partner zuführen wollte. Und weil Hausarbeit so schön
stumpfsinnig ist, wurde Jo doch müde und ging ins Bett.
12.
Gerhard war nach dem Skiausflug noch ins Büro gefahren. Er war immer
noch sauer auf Jo. Dieses Weib! Dennoch beschloss er, diese abstruse
Lawinen-Idee weiterzuverfolgen. Er ging in Evis Büro hinüber.
»Servus, Bella bionda, kannst du mir bitte alles zusammentragen, was
über das Lawinenunglück 1999 im Walsertal zu finden ist? Besonders
interessieren mich die zwei Todesopfer.«
Evi konnte sich darauf überhaupt keinen Reim machen. »Und was hat
das mit unserem Haggenmüller zu tun? Ich sollte dem doch auf der Spur bleiben.
Und den Okkultisten, von denen es auch nichts Neues gibt.«
»Aber Bella, eine Frau mit deinen Qualitäten kann doch mehrere Dinge
gleichzeitig.«
Ohne weitere Erklärungen scheuchte er Evi hinaus. Eine Stunde später
hatte Evi einen Stapel Protokolle, Zeitungsberichte und Unterlagen der
Staatsanwaltschaft in der Hand. Sie war ganz euphorisch.
»Wie bist du denn darauf gekommen, dass Feneberg Leiter der
Lawinenkommission war? Und auf dieses Unglück? Denkst du an Rache als Motiv?«,
fragte sie.
»Nun, ich hatte sozusagen einen assoziativen Gedankenansturm. Einen
Höhenflug gewissermaßen. Und der hat mich über Pinguine, Bognerkollektionen und
den Ötzi zur Lawine geführt.« Gerhard grinste.
Evi schaute ihn besorgt an. »Das viele Bier bei so einer
Brauerei-Recherche ist nicht gut für dich. Oder du hast zu viel Sauerstoff beim
Ski fahren erwischt! Geht’s dir gut?«
»Ja, bestens. Und danke für die Unterlagen.«
»Könntest du mich mal ins Bild setzen, um was es eigentlich geht?«
»Könnte ich, werde ich auch tun, aber momentan habe ich nur lose
Fäden, die ich nicht zu verknoten weiß. Gib mir heute Abend mal Zeit, die Fäden
zu entwirren. Jetzt haben wir sowieso Dringlicheres zu tun. Wir müssen diesen
Haggenmüller finden.«
Der Brauerei-Chef blieb verschollen, und so ging Gerhard um sieben
nach Hause, wo er sich eine Tiefkühlpizza in den Ofen schob und die
Lawinen-Unterlagen auf seinem Bett ausbreitete. Er war ausgelaugt und müde,
aber irgendetwas in ihm trieb ihn an, auch dieser Spur nachzugehen. War es sein
Pflichtbewusstsein? Oder die Angst vor Jos bohrend nervigen Fragen?
Je länger er in den Unterlagen las, desto weniger schmeckte ihm
seine Pizza. Der Unfall hatte sich in der Litzenscharte im Walsertal ereignet,
ein moderat geneigter Hang, überragt von den Ochsenhofer Köpfen. Gerhard kannte
den Hang, er war ihn selbst schon gefahren. Eigentlich war der Hang auch bei
einer Dreier-Lawinenwarnstufe kein Problem. Wenn nicht – ja, wenn nicht menschliches
Versagen dazukam. Aus den Vernehmungsprotokollen des Prozesses gegen den
Bergführer Heini Pfefferle gingen die genaueren Umstände hervor. Gerhard las
und ließ den Vorgang vor seinem inneren Auge ablaufen.
Heini hatte eine Spur gelegt und seinen vier Kursteilnehmern
eingeschärft, einzeln zu fahren und sich höchstens zwei Meter rechts oder links
seiner Spur zu halten. Er war gefahren und hatte der ersten Person Zeichen
gegeben. Das war eine gewisse Abigail Baxter, achtunddreißig, englische
Touristin aus Brighton, gewesen. Sie
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