Weinzirl 02 - Funkensonntag
Litzenscharte
absolut korrekt gewesen war. Außerhalb der Route war der Hang ungleich
gefährlicher gewesen wegen der Verbuschung im Untergrund und auch wegen einiger
Schwimmschneetaschen. Wären die Kürtens auf Heinis Route geblieben und einzeln
gefahren, wäre nichts passiert. Oder doch?
Nun, die Klage war abgewiesen worden. Interessant aber war, dass
anschließend ein gewisser Jobst Kürten, der Bruder eines Opfers, eine Privatklage
angestrengt hatte. So was kam immer wieder vor, das wusste Gerhard, und er rief
sich den Prozess nach dem Jamtal Unglück im Rahmen des
Millenium-Hüttenspektakels 2000 vor Augen. Damals waren die Bergführer in
Innsbruck freigesprochen worden, aber eine Frau hatte Privatklage gegen den
Veranstalter Summit Club erhoben. Die Beschreibung »Sanfte Tour« hätte sie
hinters Licht geführt und falsche Eindrücke vermittelt. Dieser Klage war
stattgegeben worden, der Summit Club war zu Schadensersatz verurteilt worden.
Jobst Kürten hatte sich das wohl zum Vorbild genommen und ähnlich
argumentiert: Sein Bruder und seine Schwägerin hätten einen »Grundkurs
Skitouren« gebucht und kein solches hochalpines Abenteuer. Sie seien getäuscht
worden und hätten mit Heinis Angaben einfach aus Unwissen nichts anfangen
können. Auch diese Klage war abgewiesen worden, weil Heinis Anwalt darauf
abgehoben hatte, dass alle Grundkurs-Teilnehmer vorher bereits zwei Lehrgänge
absolviert hatten, bergerfahren und durchaus in der Lage hätten gewesen sein
müssen, einer so einfachen Anweisung zu folgen.
Das will ich aber auch meinen, dachte Gerhard grimmig und empfand es
als besonders vermessen, dass ausgerechnet einer prozessierte, dessen Bruder
den Unfall verschuldet hatte! Er stöberte weiter in den Unterlagen.
Dieser Jobst interessierte ihn. Das musste ja ein schöner Querulant
sein. Als er im Nummernverzeichnis seines Handys eine ganz bestimmte Nummer
suchte, war – natürlich – der Akku leer. Er durchwühlte mehrere Papierstapel
neben seinem Bett nach einem Telefonbuch, was ebenfalls vergeblich war. Also
rief er doch die Auskunft an, die ihm die Nummer von Heini Pfefferle in
Wiggensbach gab.
Heinis Freundin Petra war dran.
»Oh, da hast du Pech. Heini ist mit einer Tourengruppe am Ofenpass.
Ich befürchte, du wirst ihn auch über Handy kaum erreichen. Er kommt aber am
Donnerstagabend schon wieder. Kann ich dir denn helfen?«
Gerhard zögerte ein wenig. »Tja, weißt du, ich möchte da nicht in
alten Wunden stochern. Es geht um diese unschöne Sache 1999, das Lawinenunglück.
Ich wollte mit Heini darüber mal reden. Wenn ich dich damit jetzt nicht zu sehr
nerve.«
Es war still. Im Hintergrund hörte man ein Kleinkind krähen.
»Passt schon, Gerhard. Heini und ich haben auch erst kürzlich über
die Sache geredet. Wegen Adi Feneberg. Wir hatten gerade etwas Ruhe gefunden,
und nun ist Adi tot. Wir haben bemerkt, dass es eine sehr brüchige Ruhe war,
die darauf basierte, dass man vor lauter Erschöpfung still wird. Heini ist
gerade in den letzten Tagen extrem schlecht drauf. Mal aggressiv, dann wieder
depressiv.«
Gerhard schluckt. »Nichts ist wie zuvor und nichts wird jemals
wieder so werden, ich weiß das nur zu gut.«
»Du kennst Heini. Er war schon vorher extrem vorsichtig. Jetzt ist
er manchmal wie gelähmt. Es hat ihn umgehauen. Mich auch. Vor allem die
Tatsache, wie schnell so was geht. Heini hat tausendmal zitternd vor Pein
dagestanden und gestammelt, dass er schuld sei. Dass du keine Chance hast, ein
Fehlverhalten noch umzukehren, das hat ihn fertig gemacht.«
»Aber ihn trifft keine Schuld!« Davon war Gerhard tief überzeugt.
»Ach, Gerhard. Ja, oder auch nein! Wie fragil alles ist, wie wenig
tragfähig die Säulen sind, auf die man gebaut hat! Da gibt es Tage voller Spaß,
überquellend von Optimismus. Heini hat hart gearbeitet, und es ist mit Gästen
nicht immer leicht. Es lief alles gerade so gut – und dann? Wie schnell dann
doch die Woge der Verzweiflung über dieses Leben schwappt!« Sie klang gequält.
»Und dann kommt so einer wie dieser Jobst Kürten auch noch mit einer
Privatklage daher? Was ist das denn für einer?«
»Gerhard, was soll ich sagen? Anfangs dachte ich noch, das ist eben
seine Art, mit dem Verlust umzugehen. Um sich schlagen, um irgendwas zu tun.
Das ist menschlich. Aber er war wirklich link. Er hat Heini extrem zugesetzt.
Menschlich meine ich, denn gleich nach dem Unfall hat er sogar Verständnis
geheuchelt. Er wollte Heini aufs Glatteis führen,
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