Weinzirl 03 - Kuhhandel
lange auf sich warten ließ. Es dachte an
das Heim seines Opas. Überall, ob im Foyer oder den Gängen, wurde plakativ
deutlich gemacht, wie viel man doch für die lieben Senioren tat: Bridgenachmittage, Bingo, Lesungen. Malen nach Zahlen, Ikebana und Makramee.
Vom letzten Kunstworkshop hatte ein Bild der Teilnehmer auf einer Stellage im
Eingangsbereich gehangen: Leere Gesichter, verwirrte Augen, angeblitzt mit der
erbarmungslosen Kamera und vorgeführt für die Angehörigen: Seht her, wir tun
was. Habt kein schlechtes Gewissen, dass ihr Oma und Opa abgeschoben habt. Das
Bild zeigte alte Menschen, denen man ansah, dass sie nicht mehr wussten, wie
man überhaupt von Tag zu Tag kam.
In Waltenhofen gab
es gottlob keine solchen Bilder. Gerhard bat am Empfang um ein Gespräch mit
Frau Weigand, und nach einem kurzen Telefonat wurde ihm gesagt, er solle drüben
im Gasthof Hasen auf sie warten. Hinterm Haus auf der Terrasse bitte.
Gerhard war
einigermaßen überrascht, als eine ältere Dame auf ihn zusteuerte, die noch
immer so hin- und mitreißend aussah, dass alle Blicke auf sie gerichtet waren.
Sie ging nicht, sie schritt zwischen den nichts sagenden blauen Plastikstühlen
hindurch, als ob sie bei der Berlinale oder in Cannes auf dem roten Teppich
wandeln würde, und machte völlig vergessen, dass sie einen Stock benötigte,
einen Stock, den ein brillantbesetzter Schwanenkopf zierte. Ihr Kostüm war
makellos, ihr Make-up auch, ihr stahlgrauer Pagenschnitt wippte leicht. Bevor
sie sich richtig setzen konnte, klingelte ihr Handy, das sie anmutig aus der
Jackentasche zauberte. Sie lächelte Gerhard entschuldigend zu und telefonierte.
»Kaufen Sie! Aber
nicht mehr als fünfzigtausend.« Sie schien zuzuhören und schickerte wie ein
junges Mädchen. »Sie Charmeur, Sie. Aber Sie haben durchaus Recht. Da habe ich
den siebten Sinn und den achten.«
Endlich setzte sie
sich und überschlug die Beine. »Entschuldigung. Das war mein Berater. Nokia,
ein historischer Tiefstand. Da muss man kaufen, die steigen wieder. Kennen Sie
den Tote-Katzen-Effekt? Wenn das Tier aufschlägt, hüpft es nochmals etwas hoch,
den Moment müssen Sie erwischen.«
Gerhard war für den
Moment sprachlos, dann fragte er lächelnd: »Ihr Berater? Meckle aus Lindau?«
»Richtig! Und
Gegenfrage: Gerhard Weinzirl, Kriminalpolizei? Es geht um Svenja, nicht wahr?«
Gerhard nickte.
»Ich mache Ihnen
einen Vorschlag. Fahren wir in die Traube nach Diepolz hinauf, da sitze ich am
liebsten. Der Blick ist einfach himmlisch.«
Resolut dirigierte
sie Gerhard zur Ampel vor dem Gasthof, stoppte mit ihrem Stock den Autoverkehr
und öffnete drüben am Parkplatz vor dem Seniorenheim ein Cabrio. Ein Morgan
Plus Eight – in British Racing Green, ein unglaubliches Fahrzeug! Der dürfte
ungefähr fünfundsechzigtausend Euro kosten, und wahrscheinlich gab es im ganzen
Allgäu keinen zweiten.
»Schönes Stück!«
Gerhard sagte das bewundernd.
»Ja, wissen Sie, das
ist alles Handarbeit, ein sehr individuelles Auto. Er hat den Spirit der
dreißiger Jahre.« So, wie sie das sagte, war das überhaupt nicht affektiert.
Aus ihren Augen sprach echte Freude über das Fahrzeug. Sie schlang ein Tuch um
den Kopf, setzte eine Sonnenbrille dazu auf und wirkte ein bisschen wie Grace
Kelly in ihren besten Zeiten. Einige Köpfe hingen aus dem Altersheimgebäude.
»Ha! Und heute Abend
erzähle ich, ich hätte einen neuen jungen Liebhaber!« Sie lachte hell, und dann
gab sie Gas. Wie sie durch die ersten Kurven schoss, hatte sie auch den Spirit früher Bergrennen, überlegte Gerhard. Er hatte schon Angst, dass sie das
hübsche Holzhaus mitnehmen würde. Sie fuhr das Ministräßchen nach Memhölz. Dort
winkte sie einem Bauern zu, der fast so was wie eine Verneigung machte. Diese
Frau hatte die Ausstrahlung einer Gutsherrin, die ihre Ländereien besuchte. Die
aber keine Ausbeuterin war, sondern heiß geliebt wurde. Sie röhrte durch Mähris
und Rieggis, und als sie dann schließlich auf dem harten Biergartenstuhl saß,
verlieh sie der Szenerie einen derartigen Glamour, dass Gerhard sie fast
anstarrte. Und sie bestellte Champagner!
»Ich wusste gar
nicht, dass es hier Schampus gibt.« Gerhard war verblüfft.
»Nun, ich habe ein
paar Fläschchen Veuve hier eingelagert, ich trinke kein Bier, und die
Biergartenweine im Allgäu sind ja auch eher so, dass selbst das Mineralwasser
in der Weinschorle sich schämt.« Sie lächelte wieder ein verschmitztes und
reizendes Lachen, prostete Gerhard zu,
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