Weinzirl 03 - Kuhhandel
alle schraken zusammen. Es war Evis Handy. Ihr
Gesichtsausdruck war nicht vielversprechend. Sie ließ das Handy sinken und
sagte tonlos: »Bei ihm zu Hause keinerlei Anzeichen von Dominik. Die Kollegen
haben rausgefunden, dass Lichtenegger eine zweite Garage etwas weiter weg
angemietet hat, als Reparaturwerkstatt für seine Räder. Da steht der kleine
Seat von Dominik. Aber von dem Jungen gibt es keine Spur.«
Auf einmal legte
Frau Weigand Evi die Hand auf den Arm. »Ich denke, das bestätigt Herrn
Weinzirls Vermutungen und Ihre wohl auch. So einfach macht einer wie
Lichtenegger es seinen Kontrahenten nicht. Wenden wir uns unserem Brainstorming
zu. Herr Lichtenegger führte nach Ihren Schilderungen ein Leben entweder auf
dem Rad, schraubte an Rädern oder drehte seine Runden. Er hat seine Schienen
selten verlassen, nur, wenn er die Alp beobachtet hat. Er hat sich dort, wie
Frau Fink das wunderbar gesagt hat, sehr gut ausgekannt. Und er kam immer
zurück. Ich denke nicht, dass der Junge in der Ruine ist, zumal mir das
unwahrscheinlich vorkommt, denn dort ist viel mehr Publikumsverkehr. Er ist
irgendwo in der Nähe der Alp. Ja, ich bin mir sicher.«
Evi zog den Arm
hervor. »Aber der Platz ist so gut oder schlecht wie jeder im Allgäu. So gut
wie mein schwarzes Loch im Kemptner Wald. Dieses ganze Allgäu ist voller Tobel,
Schluchten, Klammen. Es gibt Tausende von Berghütten und Alpen. Und alle sind
jetzt leer. Ihr spinnt, wenn ihr euch auf diese Spekulation einlasst.«
»Jetzt, wo du so
heftig dagegen argumentierst, kommt es mir auch saublöd vor. Aber im ersten
Moment war ich mir sicher«, sagte Jo leise.
Gerhard wandte sich
an Anni Fink. »Sie kennen sich da oben besser aus als jeder andere. Wo könnte
der Junge sein?«
Sie bekreuzigte
sich. »Nicht auf der Alp, denn von der ist nichts mehr übrig. Bei is au it«,
sie wechselte dauernd zwischen Hochdeutsch und Dialekt, »und i glaub niemals,
dass der eine andere Alp gefunden hat. Da sind überall noch Leute unterwegs.
Solange kein Schnee gefallen ist und die Zufahrtswege dicht sind, ist das viel
zu gefährlich.«
»Du hast gemeint,
dass er wahrscheinlich von Stallebene herkam. Ist da irgendwas, wo man jemanden
verstecken könnte?«, fragte Jo und lächelte aufmunternd.
»Mei do isch a
Waldweag.« Sie schloss die Augen und schien sich die Gegend vorzustellen. »Da
ist die Wildfütterung, do am Tobl …« Sie stockte und riss die Augen auf. »Hot
wer a Handy?«, fragte sie.
Jo reichte ihr
ihres. Anni wählte und redete augenscheinlich mit ihrem Mann. »Er meint das
auch. Do hat es eine Art kleiner Grotte gegeben, mit einem Blechdeckel
verschlossen war die. Da hat der Jäger Futter aufgehoben. Damit er des im
Winter it so wiet schloifa muas.«
Gerhard war schon
auf den Beinen, ohne Evis erneuten Protest zu hören. »Finden Sie dahin, Frau Fink?«
»Na, aber mei Ma.
Der isch am Wäg. Mir treffet is in Salmas.« Und dann sah sie Gerhard
verzweifelt an. »I hon schiergar Schiss.«
»Ich auch«, sagte
Gerhard leise. Er schubste Frau Fink und Evi geradezu ins Auto. Jo sprang bei
Frau Weigand ins Cabrio.
Es war zwanzig vor
sechs.
Gerhard hatte das
Blaulicht drauf, und Frau Weigand augenscheinlich perfekten Spaß daran,
hinterherzujagen.
»Glauben Sie, wir
finden ihn?«, fragte Jo.
Frau Weigand
zwinkerte Jo zu. »Trauen Sie Ihren Gefühlen und trauen Sie Herrn Weinzirl.
Natürlich finden wir ihn!«
In Salmas stand der
Fink’sche Honda. Herr Fink begrüßte sie alle, als seien sie Gäste seiner Alp.
So, als würde er eine kleine Ausflugsfahrt machen. Der Mann hatte was
Beruhigendes. Bis auf Frau Weigand stiegen alle um. »Ich bin Ihnen dabei keine
Hilfe. Ich warte hier unten. Viel Glück, toi, toi, toi.« Frau Weigand klopfte
mit ihrem edlen Stock gegen ihr Mahagoni-Armaturenbrett.
Der Jeep holperte
bergan.
Es war halb sieben,
als sie auf Stallebene parkten.
Jo spürte, wie Panik
in ihr aufstieg. Das war Wahnsinn! Vertraue, vertraue auf deine Gefühle, sagte
Frau Weigands Stimme. Gerhard war jetzt absolut ruhig.
»Herr Fink. Sie sind
unser Guide.« Er sagte das so, als ob es um eine Bergtour oder einen
Naturerlebnis-Pfad ginge. Jo kämpfte die nächste Panikattacke nieder. Evi hatte
doch Recht gehabt: Gerhard hatte vielleicht wirklich was am Kopf.
»Wir müssen bis zur
Wildfütterung gehen, von dort aus muss ich mich orientieren«, hörte Jo Fink
sagen. Das hörte sich nicht sehr vielversprechend an. Er würde es wissen, hatte
Anni doch gesagt.
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