Weinzirl 03 - Kuhhandel
dem Bauch ins Innere.
Seine Beine verschwanden, Anni Fink hatte zu beten begonnen. Wieder hatte
jemand auf Zeitlupe umgestellt, wie damals auf der brennenden Alp.
Es war zehn nach
acht, als Gerhards Beine wieder erschienen.
Dann steckte er nur
mit dem Oberkörper in dem Loch. Millimeterweise bewegte er sich rückwärts, im langsamen Krebsgang, und dann war ein zweites Paar Beine zu sehen. Regungslos.
Er ist tot, schoss es Jo durch den Kopf. Es musste so sein. Das Leben war nicht
fair. Sie sah zur Seite und konnte erst wieder hinsehen, als sie die anderen
applaudieren hörte. Da lag Dominik Pflug – nass, lehmverschmiert. Gerhard und
Evi schnitten seine Fesseln auf, das schmutzige Tuch, das ihn am Schreien hatte
hindern sollen, hing noch um seinen Hals.
Es war Viertel nach
acht.
Dominik blinzelte in
das ungewohnte Licht. Anni Fink war schon dabei, aus dem unerschöpflichen
Rucksack ihres Mannes ein sauberes Taschentuch zutage zu fördern und Dominik
vorsichtig das Gesicht abzuwischen. Sie zauberte eine Aluflasche mit Tee hervor
und flößte Dominik vorsichtig die Flüssigkeit ein.
»Scheiße!« Das war
Gerhard. Er starrte erst ungläubig, dann zum ersten Mal panisch auf sein Handy.
»Wer von euch hat ein Netz?«
Weder Finks, Jos
noch Evis Handys machten auch nur einen Mucks.
»Wo kommt das Netz
wieder?«, schrie Gerhard.
»Ungefähr dort, wo
das Auto parkt. Oder auch in Richtung unserer Alp. Kurz vor der Brandstelle.«
»Du Richtung Auto,
ich Richtung Alp«, rief Gerhard Evi zu, und beide sprengten den Hang hinauf.
»Ihr kümmert euch um Dominik! Ich bestell die Sanis auf Stallebene«, schrie er
noch, als er schon fast außer Sicht war.
Die Finks knieten
immer noch neben Dominik, der mit den Augen blinzelte. Tränen rannen über seine
Backen, das kam vom ungewohnten Licht und der Erlösung. Finks Rucksack hatte
auch noch eine Decke zutage gefördert, die er um Dominiks Schultern legte. Der
Junge schluchzte jetzt richtig, Fink hatte ihn fest umfasst.
Es war halb neun.
»Kannst du denn
aufstehen?«, fragte Fink viel später, zumindest kam es Jo so vor, die sich
irgendwie unnütz vorkam und sich schämte. Wie hatte sie je zweifeln können an
einem guten Ende?
»Ja, ich denke
schon, ihr werdet mich etwas stützen müssen.« Dominik versuchte ein Lächeln.
Dann erstarb es wieder: »Hat die Polizei diesen, diesen … meinen Entführer?« Er
tat sich schwer, das Wort auszusprechen.
Eine kurze Pause
entstand, und dann sagte Jo mit aller Kraft: »Ja, sie haben ihn in München am
Flughafen gestellt!«
Sie warf den Finks
einen warnenden Blick zu, und diese nickten. Vertraue auf Gerhard, hatte Frau
Weigand gesagt.
Gerhard rannte,
Blutgeschmack erfüllte seine Kehle. Ein Blick, immer noch kein Netz. Er flog
dahin, in seinen Schläfen pochte es, seine gebrochenen Rippen schmerzten immer
mehr. Aber das nahm er hin, als wäre es Normalzustand. Immer noch kein Netz,
und dann – ein zögerlicher Balken. Er rannte um eine Kurve. Hektisch drückte er
die Tasten und hatte Staatsanwalt Merk augenblicklich dran. »Veranlassen Sie in
München alles«, japste er, »wir haben ihn, er lebt.«
»Sie haben Sinn für
Dramatik, mein Lieber«, rief Merk – die Erleichterung war ihm anzuhören. »Dass
Sie Ihr Zeitkontingent aber auch dermaßen ausreizen mussten! Bis dann, Munich
calling.«
Es war zehn vor
neun.
Gerhard sank auf
einen Stein, und dann begann er zu lachen. Sein Lachen füllte das Tal, ein Echo
lachte zurück, so, als würden die Bergtrolle antworten. Dann ging es in Weinen
über. Er hob das Gesicht in den Abendhimmel.
»Danke, wenn es dich
gibt. Du – und ehrlich: Heute bin ich versucht zu glauben, dass es dich gibt.«
Langsam erhob er sich, wischte sich die Tränen weg und wählte Evis Nummer. »Sie
wissen es.«
»Ja, ich hab es auch
gerade gehört. Du bist mir zuvorgekommen. Streber!« Evis Stimme drohte zu
kippen, auch sie schien dem Heulen nahe zu sein.
»Wo bist du jetzt?«,
fragte Gerhard
»Beim Honda! Ich hab
auch schon Frau Weigand informiert und Dominiks Eltern.«
»Selber Streber.
Warte auf die Sanis und schick sie in Richtung der Höhle. Ich mach mich
umgehend auf den Weg.« Gerhard zögerte. »Du, Evi, ich, ähm, ich habe schon auch
gezweifelt. Aber ich hatte keine Wahl.«
»Ich weiß, so bist
du eben. Stur, oder, wie soll ich sagen: Du bist ein Allgäuer.«
Jo und Herr Fink
hatten Dominik untergefasst. Ab und zu sackten ihm noch die Beine weg, aber im
Großen und Ganzen klappte das Gehen schon
Weitere Kostenlose Bücher