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Weinzirl 04 - Gottesfurcht

Weinzirl 04 - Gottesfurcht

Titel: Weinzirl 04 - Gottesfurcht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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da.«
    Baier schloss die
Tür auf. Es war grabesstill. Sie traten in ein Wohnzimmer, in dem die
Couchgarnitur zur Seite gerückt war. Tibetische Gebetsfahnen waren zwischen
Gelsenkirchener Barock und Esstisch gespannt. In der Mitte des Raumes stand ein
dürrer anämischer Mann, die Augen geschlossen, die Hände über den Kopf gereckt,
die Fingerspitzen zusammengepresst. Auch die anderen Leute, die ihn umringt
hatten, taten es ihm gleich. Eine kleine ältere, sehr schlanke Dame schlug die
Augen auf, machte eine wedelnde Handbewegung und legte den Finger auf die
Lippen. Psst! Baier packte Gerhard an der Schulter und schob ihn in die Küche.
Er holte ein Dachs aus dem Kühlschrank, schenkte sich und Gerhard ein.
    Er seufzte. »Nicht
wundern, sie machen die Tanne.«
    »Die was?«
    »Das ist der Zlaus.«
Er sprach das C wie ein zischendes Z aus. »Der Zlaus ist gerade der
Lieblingsguru meiner Frau. Sie machen die Tanne, das regt den Energiefluss an.
Sagt Zlaus. Dafür nimmt er ein Schweinegeld.« Baier prostete Gerhard zu. »Der
liebe Herrgott hat einen großen Tiergarten.«
    Frau Baier war in
die Küche gekommen. Sie trug ein enges Oberteil mit Glitzersteinchen und eine
weite orientalische Hose, die Gerhard an einige Mädels gemahnte, die in den
Achtzigern eine intensive Öko- und Teestuben-Phase durchgemacht hatten. Sie
begrüßte Gerhard überaus herzlich und wandte sich dann an Baier: »Peterle, das
ist ja nett, dass du Besuch mitgebracht hast.«
    Peterle, Gerhard
unterdrückte ein Grinsen.
    »Interessieren Sie
sich dafür, Ihre Meridiane wieder frei zu bekommen?«, fragte sie Gerhard. »Sie
sind herzlich eingeladen, unsere kleine Übung mitzumachen.«
    »Weinzirl ist mein
Kollege!«, mischte sich Baier ein.
    »Peterle, du alter
Knurrhahn. Das muss ja nicht heißen, dass er ebenso unsensibel ist wie du.
Womöglich mag er sich unseren good vibrations öffnen? Nicht wahr, Herr
Weinzirl? Aber behalten Sie nur Platz und leisten meinem Peterle Gesellschaft.
Es gibt sowieso gleich Essen.« Sie lächelte und schwebte leichtfüßig hinaus.
Mussten die Meridiane sein.
    »Herrschaft Zeiten,
wenn sie mal zwider wäre, aber dieses ständige Verständnis für alles und jeden.
Na ja, für mich weniger, aber sie bleibt trotzdem ruhig. Macht mich rasend.« Er
hieb auf die Tischplatte. »Der Herr gebe mir ein zwidernes Weib, a rass
Nagerl!«
    Gerhard lachte. Rass
Nagerl klang gut. Aber ob das eine Lösung war? Ihm wäre Jo manches Mal ein
bisschen sanfter und weniger aufbrausend ganz lieb. Sie hatte nie Verständnis
für die Schwächen der Menschheit, Mittelmäßigkeit kam in ihrem Leben nicht vor.
Verständnis hatte sie nur für Tiere. Heute früh hatte sein Vermieterkater ihm
schon den dritten frisch gefangenen und angefressenen Vogel ins Bett gelegt.
Gerhard war sich sicher, dass die Weisheit, Katzen erwischten nur kranke und
alte Tiere, eine Mär der Katzen-Lobbyisten war. So betrachtet musste er umgeben
sein von einer maroden, überalterten Vogelpopulation. Er hasste Vogelleichen im
Bett, und dann erst die Federn. Wie viele Federn hatte so eine windige Amsel?
Jo hätte ihm gesagt, das sei ein Vertrauensbeweis gewesen. Und ausgeführt, dass
»über den Wolken« eine Illusion ist. Von wegen große Freiheit, fliegen zu
können. Vögel können zwar fliegen, aber sie landen früher oder später im Magen
einer Katze. Scheißkiller, dachte Gerhard.
    Ein Glöckchen riss
ihn aus seinen Gedanken. »Zu Tisch, zu Tisch!«, rief Frau Baier. »Das Essen ist
fertig!«
    Nun ja, Gerhard
hätte vielleicht nicht unbedingt den Ausdruck »Essen« verwendet. Essen machte
satt, und es bestand aus Fleisch, das war immer schon Gerhards Meinung gewesen.
Doch nun folgten auf eine indische Linsensuppe, die so scharf war, dass Gerhard
bitterste Tränen vergoss, diverse geschmacksneutrale Gemüsebrätlinge. Sie
gingen einher mit einem Joghurtdip, in dem sich einige extrem merkwürdige
Gewürze ertränkt zu haben schienen. Nuancen, die noch nie an Gerhards Gaumen
herangetreten waren. Die Nachspeise hingegen war passabel: Eine Torte – wenn
auch der Boden aus biologischem Dinkelmehl stammte, wie er erfuhr. Aber die
Füllung aus Sahne, Schokolade und Johannisbeeren war süß und üppig und
verdiente ansatzweise den Namen Essen. Die Torte hatte übrigens Gerhards
Vermieterin mitgebracht, die er nun endlich kennen lernte. War Baiers Gattin
eher dünn zu nennen, so war diese Dame eher auf der festeren Seite, beide aber
beseelt vom Auftrag, das Gute im Menschen zu

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