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Weinzirl 04 - Gottesfurcht

Weinzirl 04 - Gottesfurcht

Titel: Weinzirl 04 - Gottesfurcht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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Und plötzlich schluchzte sie auf: »Die haben den Georg
umgebracht, diese irre Anti-Strahlen-Initiative. Der Georg hat mich immer
verteidigt. Die haben ihn umgebracht. Die! Wie sollen wir ohne ihn hier bloß
weiterleben?«
    »Frau Heringer,
können Sie uns Namen nennen? Menschen, die Sie bedroht haben?«, fragte Baier.
    »Ja, kann ich, o ja,
das kann ich! Ich kann sie Ihnen sogar aufschreiben.« Sie ging zu einem Sekretär
und kritzelte in rasender Geschwindigkeit eine Liste zusammen, reichte sie
Baier.
    Gerhard sah Baier
an, der sich erneut an die Frau wandte: »Frau Heringer, wir kommen morgen früh
wieder. Ich möchte Ihre Schwester jetzt nicht mehr stören. Geht das in
Ordnung?«
    Baier und Gerhard
verabschiedeten sich, und noch im Treppenhaus sagte Baier: »Ich muss zu einem
Weihnachtsessen. Irgendwas mit Waisenkindern. Herrschaft Zeiten, meiner Frau
ihr permanentes Gutmenschentum. Dabei ist die Welt nicht gut, war sie nie, wird
sie nie werden. Und Sie, Weinzirl. Was steht an am zweiten Weihnachtsfeiertag?«
    »Nichts.«
    »Kommen Sie doch
mit«, schlug Baier vor.
    »Ich kann doch nicht
am 26., ich meine, es ist der zweite Weihnachtsfeiertag. Das Fest der Liebe,
der Familie.«
    »Denken Sie! Mein
Sohn ist in Venezuela auf einer Ausgrabung, studiert Archäologie, meine Tochter
lebt in den Staaten. Unsere Familie besteht am zweiten Weihnachtsfeiertag immer
aus Kulturleuten, Lebenshelfern, ewigen Gönnern und Ehrenamtlern. Meine Frau ist
da ein bisschen wahllos, Frau Kassandra würde auch gut dazu passen. Muss meine
Frau mal fragen, ob sie sie kennt. Kommen Sie mit, Weinzirl, das wird eine
Wohltat für mich. Ein Realist unter lauter Deppen.«
    »Aber Ihre Frau, ich
bin nicht eingeladen«, versuchte Gerhard einzuwenden.
    »Meine Frau hat ein
großes Herz. Für alle, bloß nicht für unseren Beruf. Ich sei zu pessimistisch,
sagt sie. Würde nicht ans Gute im Menschen glauben, sagt sie. Für sie ist das
Todsünde. Sind Sie eigentlich verheiratet?«
    »Äh, nein …«
    »Gut so. Lassen Sie
es. Jede Ehe ist wie Käse. Früher oder später beginnt sie zu stinken. Na ja, im
Allgäu draußen dauert das vielleicht länger, euer Bergkas ist besser, der hält
länger. Aber auch nicht ewig. Also Abmarsch, Weinzirl, zu den Gutmenschen, oder
kaff mer uns vorher a Hoibe?«
    »Gerne!«
    Das Gasthaus, das
sie ansteuerten, war lüftlbemalt. Wie im Bilderbuch für Oberbayern eben.
Drinnen gab’s einen Teil, der so was wie der gehobenere sein sollte, auf der
anderen Seite des Gangs war eine Stube. Die Mittagsgäste waren wohl schon
abgezogen, der Abendnachschub fehlte noch. Ein einzelner schwarz gekleideter
Mann stierte in ein Weißbier, sein Gegenüber mit Dschingis-Khan-Bart und einem
pinkfarbenen Kamm, der aus der Potasche der Lederhose ragte, stierte auch. An
einem weiteren Tisch saßen ältere Männer in Tracht und donnerten die
Schafkopf-Karten auf den Tisch. Der Lärmpegel war gewaltig. Aber als die Tür
klappte, war es schlagartig still. Sämtliche Köpfe ruckten hoch, und mehrere
Augenpaare starrten. Einer gab ein Grunzen des Erkennens von sich. Baier machte
eine unbestimmte Handbewegung und knurrte »oider Wuiderer«. Welcher der alte
Wilderer sein sollte, war Gerhard unklar, aber als wäre das ein Geheimcode,
senkten sich alle Köpfe wieder über die Karten. Sie setzten sich. Lange
passierte nichts.
    »Sollten wir nicht
mal die Bedienung rufen?«, fragte Gerhard.
    »Eine bayerische
Bedienung ruft man nicht!«
    Sie kam dann
tatsächlich nach etwa zehn Minuten freiwillig, knallte eine Karte auf den Tisch
und brummte: »Was wollts?«
    »Zwei Weißbier«,
knurrte Baier.
    »Essen?«
    Baier schüttelte den
Kopf.
    »Hätt auch nichts
gegeben. Erst abends.« Sie raffte die Karten wieder zusammen.
    Ungefähr zehn
Minuten später kam das Weißbier. Gerhard und Baier schwiegen. Ausgestopfte
Tiere blickten auf sie herunter. Irgendwann ließ sich die beleibte Dame wieder
sehen und kassierte. Sie fixierte Gerhard mit zusammengekniffenen Augen. Als
sie aufstanden, huschte so was wie ein Lächeln über ihr Gesicht: »Frohe
Weihnachten, Baier. Eana auch«, sagte sie in Gerhards Richtung.
    »Danke!« Er grinste.
    »Habe die Ehre!«,
kam es von Baier, und das schloss den Oiden-Wuiderer-Tisch ebenso ein wie die
Bedienung.
    Auf den Straßen war
Totentanz. Nassschnee senkte sich und blieb auf den Wiesen allmählich liegen. Sie
erreichten Baiers Haus in der Lienhartstraße in Weilheim. Einige Autos standen
davor.
    »Aha, die Irren sind
schon

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