Weinzirl 04 - Gottesfurcht
war eine Eule mit Buch. Er deutete
darauf und sah Josefa Heringer fragend an.
Sie konnte wieder
lächeln. »Sie haben inzwischen wirklich einen guten Blick entwickelt. Das
stammt nicht von Schorsch. Wir bieten hier in Oberammergau auch Schnitzkurse
für Touristen an, und das hat einer vergessen. Schorsch hat die Kurse manchmal
betreut, und sein Rat für die Gäste war es immer, erst mal die Eule mit Buch zu
versuchen. Die gelingt am einfachsten.« Sie lächelte und sagte dann ganz
unvermittelt: »Wenn Sie hier nichts finden, glauben Sie dann, dass der Stuckenzeller
gelogen hat?«
»Ich muss mit den
anderen drei Herren vom Lukasverein reden, das steht fest. Und ich hoffe, das
sind weniger verdruckte Kooga als der Stuckenzeller.« Unwillkürlich war Gerhard
wieder mal ins Allgäuerische verfallen. »Wenn doch, dann müssen wir anders
vorgehen. Hausdurchsuchungen, Staatsanwalt, Verhaftungen, das ganze Programm.
Wer weiß, vielleicht haben die sich zusammengerottet. Glauben Sie, dass die
Kollegen ihn auf dem Gewissen haben? Ist so was vorstellbar?«
Josefa Heringer
blickte aus dem Fenster. »Auch wenn ich das vielleicht sogar gerne glauben
möchte, der Stuckenzeller ist wirklich eine Landplage, ist das doch nicht so
einfach. Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass eine Rotte erboster
Lukasverein-Schnitzer meinem Schwager aufgelauert und ihn dann ermordet hat.
Selbst wenn er in großem Stile Figuren gefälscht hätte, wäre das zwar ärgerlich
und eine Schande, aber noch kein Motiv für einen Mord. Wirklich erbost dürfte
nur einer sein.«
»Einer?«
»Nun, ich weiß nicht
wer, aber wie Sie mir das geschildert haben, ist die Jungfrau Maria eine Kopie
eines Modells. Das Original, das Sie gesehen haben, wurde, wenn es denn stimmt,
wohl von meinem Schwager kopiert, dabei ganz leicht verändert und vereinfacht
und dann maschinell gefräst. Darauf steht unter Schnitzern Todesstrafe, äh, so
hab ich das jetzt nicht gemeint.«
»Wenn ich also weiß,
von wem das Original stammt, hab ich den Mörder?«
»Herr Weinzirl,
wirklich! So hab ich das nicht gemeint. Es ist schwer, einem Außenstehenden die
Befindlichkeiten in Oberammergau zu erläutern.«
»Ja, ich bin auch
nur ein tumber Allgäuer!«
»Außenstehend
bedeutet schon aus Bad Kohlgrub oder auch schon aus Altenau! Wissen Sie, wir
vermarkten Oberammergau seit Jahrhunderten auf zwei Weisen: über die Passion
und das Schnitzen. Aber es ist ein bisschen ein Ungleichgewicht entstanden, die
Passion überstrahlt alles, zumal sie 2000 so viel internationale Aufmerksamkeit
bekommen hat, wie nie zuvor. Das ist nicht mehr nur ein Laienspiel, das ist
hochprofessionell und geht so unter die Haut, dass sich keiner dem entziehen
kann. Keiner! Und das Passionstheater steht ja auch im Sommer für opulente
Operninszenierungen im Rampenlicht. Ich kann das nicht so gut erklären.«
»Doch, doch! Sie
meinen also, mit all dem Fokus auf die Passion schauen die Schnitzer mit dem
Ofenrohr ins Gebirg, rauf zum Kofel?«, sagte Gerhard und nahm sich vor, die
spitze Felsnase auf jeden Fall im Frühjahr zu besteigen.
Sie nickte. »Sehen
Sie, Schnitzwaren sind in den heutigen Zeiten nicht gerade die Gegenstände, die
man zwingend kauft. Die Menschen sparen an dem, was man nicht unbedingt
braucht. Die Deutschen kaufen Lebensmittel bei Aldi, sie haben ihr Auto, das
der Bank gehört, und ihren Urlaub, der nun an Bulgariens Goldküste führt.« Das
klang bitter. »Die Schnitzer fühlen sich ein bisschen im Stich gelassen.
Oberammergau wirbt damit, aber tut nichts für sie. Ich empfinde das auch so!
Gerade der Lukasverein wird gerne herangezogen in PR -Postillen fürs Wahre und Echte, das wir so wunderbar
bewahrt haben. Aber ich bitte Sie: Der Lukasverein soll sogar seine
Präsentationsfläche im Passionstheater verlieren, hab ich läuten gehört. Wohin
dann? Ins Pilatushaus, aber da ist ja schon die lebende Werkstatt. Das führt
jetzt alles zu weit, aber es gibt hier unterschiedliche Strömungen, die
Empfindlichkeiten nehmen zu. Wir buttern Tausende in den Wellenberg, aber an
unserem echten Potenzial, den Menschen, wird gespart. Das ist kurzsichtig, nur
auf den schnellen Erfolg ausgerichtet. Wenn die Gemeinde klug wäre, würde sie
dem Lukasverein einen Laden zur Verfügung stellen. Aber das tut sie nie, und
wenn, nur gegen horrende Miete. Die Nerven liegen da ein bisschen blank.«
»Gerade blank
liegende Nerven können zum Mord führen«, sagte Gerhard und sah der Frau, die
ihm so sympathisch war,
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