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Weiskerns Nachlass

Weiskerns Nachlass

Titel: Weiskerns Nachlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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freut sich, dass ihr Cousin helfen konnte, und ist amüsiert, wie viel Freude ein Brief vom Finanzamt bereiten könne.
    »Ja«, sagt er, »mir fällt ein Stein vom Herzen, auch wenn die Sache noch nicht ausgestanden ist.«
    »Ist doch nur Geld«, erklärt sie und macht eine wegwerfende, fast obszöne Handbewegung.
    Er widerspricht: »Das klingt vielleicht hübsch, Marion, aber es ist Unsinn. Einen solchen Satz können nur reiche, wirklich reiche Leute von sich geben, ohne sich lächerlich zu machen. Ich glaube, wir beide haben zum Monatsende hin viel zu viel zu rechnen, als dass wir solocker über Geld reden könnten. Ich jedenfalls habe gestern die erste Nacht wieder ruhig geschlafen.«
    »Wenn du alles überstanden hast, wirst du darüber lachen.«
    »Nein. Dann werde ich aufpassen, dass mir das nicht noch einmal passiert.«
    »Kann es sein, Rüdiger, dass du Geld zu wichtig nimmst?«
    Er schaut sie überrascht an. Er wirkt fassungslos, schüttelt den Kopf.
    »Zu wichtig?«, überlegt er laut und schüttelt nochmals den Kopf. »Nein. Ich brauche es, etwas davon jedenfalls, damit ich mich nicht Tag und Nacht damit beschäftigen muss wie gerade jetzt. Ich hätte gern so viel von diesem Scheißgeld, dass es mich nicht beschäftigt. Damit ich es nicht wichtig nehmen muss. Also nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig.«
    Er grinst und fügt hinzu: »Wie beim Sex, Marion. Ganz genauso wie beim Sex. Nicht zu viel, nicht zu wenig. Um nicht fortwährend daran denken zu müssen.«
    Sie lacht: »Ich denke immer an Sex, obwohl ich ihn hinreichend genieße. Und es ist besser, als an Geld zu denken.«
    Bevor er in den Seminarraum geht, schaut er bei Sylvia im Sekretariat vorbei, die ihn aufgeregt begrüßt.
    »Ich habe Post für dich«, sagt sie strahlend und reicht ihm einen Brief, »von der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Vielleicht hat es geklappt, ich habe dir jedenfalls die Daumen gedrückt.«
    »Und ich wette mit dir, dass es wieder eine Absage ist. Ich habe mir ohnehin keine Chancen ausgerechnet. Ichweiß doch, was die wollen und fördern, ich passe nicht in ihr Programm.«
    Er nimmt von Sylvia den Brieföffner. Schon als er den Umschlag halb geöffnet hat, liest er den entscheidenden Satz: Sein Forschungsprojekt ist erneut abgelehnt.
    »Und ich hatte wieder einmal recht«, sagt er verbittert.
    Er legt den Rucksack auf einem Stuhl ab, um den ganzen Brief zu lesen, die ausführliche Begründung, warum die DFG sein erneut eingereichtes Projekt nicht fördert. Eine Herausgabe der Werke von Friedrich Wilhelm Weiskern wird zwar als kulturelle Leistung gewürdigt, jedoch sei in der abschließenden Beratung des Fördergremiums keine qualifizierte Mehrheit für sein Anliegen erreicht worden, so dass eine finanzielle Unterstützung durch die Forschungsgemeinschaft bedauerlicherweise nicht erfolgen könne. Am Ende wird ihm mitgeteilt, er könne sich jederzeit wieder mit einem neuen Projekt an die Forschungsgemeinschaft wenden, und auf die Satzung verwiesen, die dem Brief als Anhang beiliegt.
    Er steckt den Brief in die Tasche, den Umschlag und die Satzung wirft er in den Papierkorb.
    »Ich danke dir. Den nächsten Brief kannst du gleich zum Abfall tun. Ich bin es langsam müde, die Absagen zu stapeln.«
    »Eines Tages«, sagt Sylvia, aber Stolzenburg unterbricht sie: »Nein, auch nicht eines Tages. Ich erzähle meinen Studenten dreimal im Jahr, dass sie keine Chance haben, dass nach dem Studium niemand auf sie wartet, niemand sie braucht, da werde ich mir selbst doch nichts anderes weißmachen wollen. – Ist Frieder da?«
    »Ja. Willst du ihn sprechen?«
    »Nein. Ich muss ins Seminar.«
    Auf dem Gang wirft er einen Blick auf seine Armbanduhr, dann geht er nochmals in die Bibliothek zu Marion.
    »Und noch ein Brief für mich. Nur weil du meinst, ich nehme Geld zu wichtig.«
    Er wirft den Brief vor sie auf den Tisch, stellt sich ans Fenster und starrt schweigend in den Himmel. Marion nimmt den Brief, liest ihn und seufzt: »Tut mir leid, Rüdiger, tut mir wirklich leid. Ich weiß ja, wie du an deinem Projekt hängst. Gibt es noch irgendwo anders Fördermittel? Vielleicht bei den Musikern? Dein Weiskern hatte doch mit Mozart gearbeitet, sagtest du das nicht?«
    »Er ist nicht Aufsehen erregend genug, mein Weiskern, sie wollen nur Leuchttürme fördern. Sie verteilen Geld, wenn etwas angeblich nützlich ist oder wenn es sie schmückt. Das nennt man heute Exzellenzforschung. Schlechte Zeiten für meinen kleinen sächsischen

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