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Weiskerns Nachlass

Weiskerns Nachlass

Titel: Weiskerns Nachlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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hochgewachsenes, rothaariges Mädchen.
    Diese Göre, denkt Stolzenburg, wenn es ein Junge wär, ich würde ihm eine runterhauen, und bei einer Frau hätte ich auch eine passende Antwort, aber mit Kindern lege ich mich nicht an, das bringt nur Ärger, dann wird mir noch sonst was unterstellt.
    »Vergessen? Was soll ich vergessen haben? Ihr blockiert den Fahrradweg, so dass ich fast hingestürzt …«
    Die Rothaarige unterbricht ihn erneut: »Stopp, Alter. Halt die Klappe. Du hast dich bei meiner Freundin zu entschuldigen. Du hast sie mit deinem Scheißquark beschmiert. Eine Entschuldigung ist fällig, und da solltest du nicht zu lange warten. Wir sind nicht immer so freundlich, und wir sind es nie sehr lange, du Sack.«
    Stolzenburg ist überrascht, ihm fehlen die Worte, er starrt bloß mit offenem Mund das Mädchen an. Es erscheint ihm unglaublich. Er ist fassungslos, wie dieses Kind ihn soeben angesprochen hat, und zugleich amüsiert, er könnte laut auflachen, zumal ihn die Mädchen anstarren und sich vor ihm aufgebaut haben, als seien sie eine gefährliche Schlägertruppe. Er bemerkt, dass die Passanten ihn und die Girliegruppe betrachten und den Bürgersteig verlassen, um ihnen auszuweichen.
    »Nun ist ja gut, Mädchen«, sagt er und bemüht sich um Beruhigung, »es ist ja nichts passiert.«
    »Du sollst dich entschuldigen. Bist du auch noch taub?«
    Das Mädchen, das offenbar die Wortführerin der Mädchengruppe ist, kommt noch einen Schritt auf ihn zu. Stolzenburg hebt sein Rad auf, um es notfalls als Schutzschild zu nutzen.
    »Kinder, ich bitt euch …«
    »Wie redet denn der mit uns!«, empört sich das Mädchen und wendet den Kopf zu ihren Freundinnen. »Was glaubt der Arsch, wer er ist!«
    Stolzenburg entscheidet sich in dem Moment, die sinnlose Diskussion zu beenden. Er schwingt sich auf das Rad, in der rechten Hand noch immer den aus der Tasche gefallenen eingewickelten Käse, und fährt rasch davon. Ein dickliches Mädchen rennt ihm hinterher, wird aber von den anderen zurückgerufen. Ein Müllwagen heult rückwärtsfahrend laut auf, so dass Stolzenburg die Rufe und Kommentare der Mädchen nicht versteht. Für Momente ist er irritiert, ihn hat die unvermittelt aufbrechende Feindseligkeit der Jugendlichen verblüfft und mehr noch, dass es Kinder sind, denn sie waren wohl so um die zwölf oder dreizehn. Das Leithühnchen, wie er die wortführende Rothaarige nennt, war ganz gewiss nicht älter als vierzehn und gebärdete sich wie eine ausgefuchste Bandenchefin. Er ist froh, dass er halbwegs erwachsene Studenten zu unterrichten hat, vor einer Klasse mit Mädchen wie diesen Kampfhennen möchte er nicht stehen. Auf dem letzten Teil der Strecke zu Patrizias Salon packt er den Käse in die Fahrradtasche, wobei er sich wiederholt nach den Mädchen umschaut, die verschwunden zu sein scheinen. Am Ende der Straße, direkt vor dem Eingang zu einem kleinen Park, steigt er vom Rad, stellt es in einen Fahrradständer und schließt es ab. Kurz bevor er den Friseurladen betritt, schaut er sich noch einmal nach der Mädchengruppe um. Auf der belebten Straße kann er sie nicht entdecken, trotzdem kehrt er zu seinem Fahrrad zurück und hebt es aus dem Fahrradständer, um es im Hausflur unterzubringen. Falls die Mädchen ihn beobachtet haben, hätten sie sehen können, wo er das Fahrrad hinstellt, und er fürchtet, sie könnten sich in ihrer Wut an dem Rad schadlos halten. Er betritt den Salon, nickt der blonden Chefin zu, klopft kurz an der hinteren Tür mit dem Werbeplakat für Naturnagelpflege und Nailbasic und öffnet sie.
    Stellwände und Tücher unterteilen den Raum, so dass zwei kleine Kabinen entstanden sind. Patrizias Kopf taucht auf zwischen zwei aufgehängten cremefarbenen Laken. Sie ist überrascht, ihn zu sehen, lächelt ihm zu und bittet ihn, sich zu gedulden, sie sei gleich fertig. Dann unterhält sie sich weiter mit ihrer Kundin, während sie sich mit deren Fußnägeln befasst. Nach ein paar Minuten kommt sie hinter dem Tuch hervor, küsst Stolzenburg und fragt, was ihr die Ehre seines Besuches verschaffe, er habe sie hier doch höchst selten aufgesucht.
    »Ich wollte dich abholen. Bist du fertig?«
    »In einer Stunde. Tut mir leid, aber mittwochs geht es immer länger. Da mache ich erst Schluss, wenn vorn der Laden schließt. In einer Stunde, geht das für dich?«
    Das Tuch hinter Patrizia wird beiseitegeschoben, die Kundin hat ihre Schuhe angezogen und hält ihr Portemonnaie in der Hand. Neugierig betrachtet

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