Weiskerns Nachlass
Kinder beendet zu haben. Reicht das?«
»Ich wollte dich nicht ausfragen, entschuldige …«
»Du hast mich nicht ausgefragt. Es ist wichtig, ein paar Dinge zu wissen, die für uns entscheidend sind.Und du? Du bist auch nicht gebunden? Du hast keine Freundin?«
Stolzenburg zögert und schaut auf seine Fingernägel. Er verzieht leicht den Mund, als er sagt: »Ich bin allein. So gut wie allein jedenfalls. Manchmal treffe ich mich mit einem Mädchen, aber das ist alles nicht wirklich von Bedeutung. Und es gibt eine Kleine, die ich öfter sah, ein sehr junges Mädchen. Aber auch das ist völlig bedeutungslos. Es ist keine Beziehung, nichts Ernsthaftes, ich sehe sie manchmal wochenlang nicht. Nichts, was ich nicht sofort beenden könnte. Sie bedeutet mir nichts, gar nichts. Ich hasse es nur, immerzu allein zu sein. Bist du jetzt überrascht?«
»Nein. Ich würde es dir nicht glauben, wenn du gesagt hättest, dass du völlig allein bist. Ich weiß doch, wie Männer sind. Männer werden geboren, um Frauen unglücklich zu machen, und genau deswegen gehe ich ihnen aus dem Weg.«
Stolzenburg lacht, aber da sie es offenbar ernst meint, fasst er nach ihrer Hand und fragt: »So schlimme Erfahrungen?«
Sie nickt, zieht ihre Hand zurück und macht eine wegwischende Bewegung. Dann lächelt sie ihn an und greift nach ihrem Glas. Unvermittelt wechselt sie das Thema und fragt ihn, ob er gern ins Theater oder in die Oper geht, und erkundigt sich, als er ihr antwortet, dass er das Gewandhaus schätze und das Opernhaus und das Theater eher meide, ob er »Die Beschwörung der Oper« gesehen habe, mit der das Haus nach dem Umbau eröffnet wurde. Den Brendel im neuen »Holländer« habe sie sich noch nicht ansehen können.
»Kann ich dich dazu einladen?«, fragt er sofort. »Beimir steht er auch auf der Liste. Wenn du einverstanden bist, rufe ich morgen in der Oper an. Ich frage nach den nächsten Terminen und gebe dir gleich Bescheid.«
Sie antwortet ihm ausweichend, und er fragt nicht nach. Sie erzählt von ihrer Arbeit, den ständigen Sitzungen und Absprachen, den täglichen Gesprächen mit Journalisten, die von ihr das erfahren wollen, was ihnen der Bürgermeister verschweigt, von den kleinen und den kleinlichen Bestechungsversuchen der Journaille, von ihrer Angst, aus Versehen etwas auszuplaudern, worüber alle im Amt Bescheid wissen, was aber vorerst nicht an die Öffentlichkeit gelangen soll. Bei jedem Informationsleck stehe sie im Mittelpunkt der Nachforschungen, und daher führe sie peinlich genau Protokoll über all ihre Gespräche. Er hört ihr schweigend zu und denkt darüber nach, ob sein Geständnis, mit einer Frau ein Verhältnis zu haben, das Ende ihrer Bekanntschaft sein sollte. Auf dem Heimweg laufen sie nebeneinander, ohne sich zu berühren. Als er mit seiner Hand nach ihrem Arm fasst, lässt sie dies einen Moment zu, dann entzieht sie sich ihm. Vor ihrer Haustür fragt er, wann sie sich wiedersehen können.
»Und dein junges Mädchen?«, fragt sie spöttisch. »Dein sehr junges Mädchen?«
»Das bedeutet gar nichts«, sagt er eindringlich, ergreift mit beiden Händen ihre Hände und hält sie gegen ihren Willen für einen Moment umklammert.
»Ich weiß nicht«, sagt sie zögernd, »ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Was ich von dir halten soll.«
»Gib mir eine Chance. Ich war ehrlich zu dir, das solltest du honorieren. Mir liegt an dir, Henriette.«
»Ich weiß nicht«, sagt sie, macht sich los und öffnetihre Haustür. Dann dreht sie sich noch einmal um und sagt: »Das mit den Opernkarten kannst du mir überlassen. Ich sitze schließlich im Kulturamt, da reicht ein Anruf, wenn ich Karten brauche. Irgendeinen kleinen Vorteil sollte ich davon haben, wenn ich Tag für Tag den Unsinn verteidigen und gut verkaufen muss, den unsere teuren Künstler produzieren. Gute Nacht, Rüdiger.«
Er strahlt sie ungläubig an, er steht wie versteinert und lächelt noch immer, als die Haustür hinter ihr längst ins Schloss gefallen ist.
Zwölf
Aberte antwortet ihm erst drei Tage später. Er werde in zwei Tagen quer durch das Land reisen, vom Norden Richtung Süden, und falls Stolzenburg in Leipzig sei, wie er in seiner allerersten E-Mail mitgeteilt hatte, könnten sie sich in fünf Tagen treffen, er werde am vierzehnten November gegen Mittag in Leipzig sein, allerdings müsse er am Abend zu einem geschäftlichen Dinner und am nächsten Morgen weiterfahren, so dass nur an diesem Tag und nur zwischen vierzehn und
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