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Weiskerns Nachlass

Weiskerns Nachlass

Titel: Weiskerns Nachlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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eine Sekunde später, drängt ihn an den Bürgersteigrand und zwingt ihn dadurch, vom Rad zu steigen. der junge Mann lässt das rechte Seitenfenster herunter und schreit Stolzenburg an, der nochmals um Verzeihung bittet und dann geduldig und schweigend wartet, bis der andere seine Wut herausgebrüllt hat, losfährt und ihm den Weg frei gibt.
    Als er weiterfährt, lächelt er über sich selbst. Er ist so begierig auf diese Weiskern-Briefe, dass er offenbar lieber einem Betrüger vertraut, diesem Aberte, als einem seriösen, vermutlich jahrhundertealten Auktionshaus, das keinerlei Grund hat, ihm die Unwahrheit zu sagen. Er hat Zeit mit diesem Gauner verloren und fast auch viel Geld, dennoch wollte er unbedingt über jenes Stöckchen springen, das ihm dieser Gauner hinhielt. Krebs wird recht haben, sagt er sich, diese Briefe gibt es nicht, man wollte ihn reinlegen, aber dennoch bleibt der Wunsch, dass sich Krebs irrt, dass Aberte die Manuskripte besitzt und verkaufen wird.
    Im Institut geht er sofort in die Bibliothek, begrüßt Marion und bedankt sich für den Abend. Da sie ihn nur anstrahlt und nichts erwidert, erkundigt er sich unbeholfen nach Henriette, fragt, ob sie miteinander gesprochen hätten und ob ihr der Abend Spaß gemacht habe.
    »Sie hat mich gefragt, ob du immer so viel redest und immer so schnell.«
    »Hab ich das?«
    »Du hast ununterbrochen geredet, den ganzen Abend, und Henriette hat nichts verstanden von dem, was du ihr erzählen wolltest.«
    »Habe ich tatsächlich so viel geschwatzt? O Gott, mir ist es nachher auch peinlich gewesen.«
    »Sie hat dich wohl beeindruckt?«
    »Sie muss mich für einen völligen Idioten halten. Und ich wollte euch nur unterhalten.«
    »Das hast du auch. Und du warst witzig, Rüdiger, selten habe ich dich so erlebt.«
    »Und Henriette? Fand sie es auch amüsant, oder habe ich sie gelangweilt?«
    »Ich glaube nicht, dass sie sich gelangweilt hat.«
    Es machte ihr Spaß, ihn hinzuhalten, da sie gemerkt hat, wie begierig er etwas von ihr über Henriette erfahren und wissen wollte, was sie von ihm hielt.
    »Hat sie denn nichts gesagt?«
    »Was möchtest du denn hören?«
    »Habt ihr heute telefoniert, du und Henriette?«
    »Ja.«
    »Und? Sie wird doch irgendetwas zu gestern Abend gesagt haben.«
    »Du hast ihr gefallen. Und sie hat gemerkt, dass sie dich beeindruckt hat. Zufrieden? Hast du ihre Telefonnummer?«
    »Nein, ich wollte dich darum bitten. Was meinst du, wann könnte ich sie anrufen? Ich will ihr nicht auf den Wecker fallen.«
    »Da steht mein Telefon, du kannst sie gleich anrufen.Und dass du ihr lästig fällst, das ist, glaube ich, ausgeschlossen. Dafür hat sie heute Morgen zu lange mit mir telefoniert und zu viel über dich gesprochen.«
    »Erzählst du es mir?«
    Marion lacht und schüttelt den Kopf: »Nein, das mache ich nicht. Das gehört sich nicht. Henriette ist meine Freundin, und ich habe dir schon viel zu viel über sie erzählt. Ruf sie an.«
    »Ja, aber nicht von hier aus, nicht wenn du zuhörst.«
    Am Abend versucht er Henriette zu erreichen, doch am Telefon meldet sich niemand. Er wählt mehrmals ihre Nummer, und zwischendurch entwirft er jenen Brief an Conrad Aberte, um den ihn Magister Krebs bat. Er teilt Aberte mit, die Universität habe ihm das Geld für den Ankauf zur Verfügung gestellt, er möge ihm mitteilen, wo die Übergabe der Manuskripte erfolgen könne und wie er die Geldzahlung wünsche, als Scheck oder mit einer Überweisung, auch eine direkte Barzahlung sei möglich. Er liest den Brief immer wieder durch und grübelt diesem seltsamen Angebot nach, das ihn immer mehr verwirrt. Er überlegt, ob er seinen Chef, Frieder Schlösser, informieren soll, da er in dem Brief von einer angeblichen Mittelfreigabe seines Arbeitgebers spricht, doch er weiß nicht, was und wie er es Schlösser sagen soll, diese Geschichte ist zu abenteuerlich, ein wildes und unglaubhaftes Lügenmärchen. Er würde sich im Institut lächerlich machen.
    Als er den Brief abschickt, ist es kurz nach neun, jetzt will er Henriette nicht mehr anrufen, es ist zu spät, sie kennen sich noch zu wenig. Stattdessen versucht er im Internet etwas über diesen Conrad Aberte zu finden, doch nach einer halben Stunde gibt er auf und fährt denComputer runter. Wie er es vorausgesehen hatte, taucht dieser Name dort nirgends auf.
    Am nächsten Vormittag ruft er bei der Pressestelle im Rathaus an und lässt sich mit Henriette verbinden. Er bemüht sich, mit ihr zu plaudern und charmant

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