Weiskerns Nachlass
sucht. Die Betrogenen werden den Gaunerstreich nicht anzeigen, um nicht noch zusätzlich Hohn und Spott zu ernten, sie werden den finanziellen Verlust hinnehmen, auch wenn es ihnen vermutlich kaum anders geht als ihm selbst und sie über kein beruhigendes Bankkonto verfügen, mit dem man solche Verluste verärgert, doch nicht in seinen Existenzgrundlagen gefährdet erträgt. Eventuell werden sie sich auf die Suche nach diesem Conrad Aberte machen, doch sie werden ihn nicht finden, weil es einen Conrad Aberte nicht gibt. Der Name ist sicher ebenfalls eine Fälschung. Stolzenburg versucht den Namen zu entschlüsseln, eine portugiesische Vokabel fällt ihm ein, die ihn aber nicht weiterführt. Allem Anschein nach ist es eine völlig freieWorterfindung, ohne tiefere Bedeutung. Und so, wie er vorging, wie er ihn hereinzulegen, wie er ihn zu leimen suchte, das verweist auf zumindest minimale Kenntnisse von Forschungsarbeit. Aberte, oder wie immer er heißt, hat also studiert, ist Akademiker, möglicherweise ein ehemaliger Wissenschaftler, der wegen Betrugs entlassen wurde, und nun verdient er sich seine Brötchen, indem er einfältige, vertrauensselige Forscher hereinlegt, die alles hergeben, um ein heißbegehrtes Objekt in ihren Besitz zu bringen. Er wird dabei Institutionen meiden, bei denen er irgendwelche bürokratischen Hürden und Kontrollen zu fürchten hat, und sich an Privatgelehrte halten, an ältere Herrschaften, die ihre Arbeitstage in verstaubten Archiven verbringen und ihr irdisches Glück im Aufspüren verloren gegangener und dem Entdecken unbekannter Manuskripte finden. Schrullige, verschrobene Buchnarren, die außer einer vorzüglichen Bibliothek wenig besitzen, ein paar Antiquitäten von zweifelhaftem Wert vielleicht, ein ererbtes, baufälliges Häuschen der Eltern, das zu erhalten ihnen schlaflose Nächte bereitet, und die dennoch all ihren Besitz ohne zu zögern opfern, wenn es gilt, ein besonders kostbares Buch, ein einzigartiges Manuskript zu erwerben. Und zu diesen Leuten muss er sich wohl rechnen, jedenfalls hat ihn dieser Aberte so eingeschätzt. Und ganz genauso hat er reagiert, genau wie seine bevorzugten Opfer, wie diese schrulligen Archivratten wollte er sofort über das hingehaltene Stöckchen springen.
»Noch einmal gut gegangen«, sagt er laut.
Ihm ist unbehaglich bei dem Gedanken, sich mit Aberte zu treffen, ihn seinerseits reinzulegen, sich mit ihm in einem Café zu verabreden, in dem am Nachbartisch Polizisten in Zivil sitzen, die im Moment des Austausches der vorgeblichen Originale und der vereinbarten Geldsumme zugreifen. Ihm fällt ein, dass Aberte ihn nicht kennt, nicht einmal seine Stimme, er müsste also lediglich Ort und Zeit der Begegnung vereinbaren, aber nicht selbst dort erscheinen, statt seiner könnte dort ein Polizeibeamter auf Aberte warten. Der Gedanke beruhigt ihn, er wird es dem Auktionshaus, diesem Magister Krebs vorschlagen, und er vermutet, der Polizei wird es gleichfalls lieber sein, wenn kein Laie an einer Festnahme beteiligt ist.
Schon wieder, bemerkt er, ist er seit Stunden mit diesem unsäglichen Aberte und dessen angeblichen Weiskern-Manuskripten befasst. Er setzt sich an den Schreibtisch und versucht, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Er denkt an Henriette, vor einigen Stunden hatte er gehofft, dass sie ihn anruft. Wenn er sofort ins Institut radelt, würde er Marion noch treffen. Vielleicht hatten die beiden telefoniert, und sie könnte ihm sagen, welchen Eindruck er auf Henriette machte. Er schaut auf die Uhr, sie hat in dreißig Minuten Feierabend, er müsste sich beeilen. Auf der Treppe kehrt er nochmals um, um die vergessene Tasche mit den Unterlagen für das Nachmittagsseminar zu holen.
Auf der Fahrt zum Institut fragt er sich, ob er diesem Krebs trauen darf. Was, wenn nicht Aberte, sondern der Wiener Magister lügt? Vielleicht will das Auktionshaus ihn als Käufer der Weiskern-Briefe loswerden, weil man dort ahnt, dass Aberte ihm die Manuskripte zum Einstiegspreis verkaufen will und dem Dorotheum dann die vermutlich hohe Provision entgeht. Er will es nicht ausschließen, auch wenn es undenkbar ist, dass ein solchesHaus einen Anbieter derart verleumdet, nur um sich einen Gewinn nicht entgehen zu lassen.
Ein Autofahrer, ein junger durchtrainierter Mann, bremst scharf und drückt sekundenlang die Hupe. Stolzenburg hat ihm gedankenverloren die Vorfahrt genommen, er hebt eine Hand zum Gruß und um sich zu entschuldigen. Der Sportwagen, überholt ihn
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