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Weiskerns Nachlass

Weiskerns Nachlass

Titel: Weiskerns Nachlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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Zusammenhängen sehen, das ist Konfuzius.«
    »Du kennst dich damit offensichtlich aus.«
    »Ein wenig. Nein, eigentlich gar nicht, viel zu wenig. Ich versuche zu verstehen, aber es bleibt ein Dunkel. Es gibt eine Grenze, über die ich nicht hinwegkomme. Eine Grenze der Herkunft, oder ich sollte besser sagen: Mir fehlt die Tradition, es zu verstehen.«
    »Klingt aufregend. Darüber solltest du mehr erzählen.«
    Die Kellnerin kommt mit dem Essen, sie stellt die Teller vor den beiden ab und wünscht guten Appetit. Sie ist noch immer gekränkt, und als sich Stolzenburg bei ihr bedankt, schaut sie ihn missmutig und mit zusammengekniffenen Lippen an. Vielleicht muss sie für die nicht beglichene Rechnung der Mädchen allein einstehen und hält Stolzenburg für den Zechpreller. Einen Moment denkt er daran, ihr ein gutes, ein üppiges Trinkgeld zu geben, verwirft diesen Gedanken umgehend wieder. Für solche generösen Gesten hat er zu wenig Geld, und überdies könnte das von der Kellnerin als Schuldeingeständnis gewertet werden und ihren Verdacht erhärten. Nein, sagt er sich, während er sie lächelnd betrachtet, für diese kleinen Gangsterbräute werde ich nicht aufkommen, und wenn du zugesehen hättest, wie sie mir eine Eisenkette über den Schädel gezogen haben, würdest selbst du das verstehen.
    Zu seiner eigenen Überraschung redet er während desEssens von seinem Weiskern-Projekt, von seinen drei kleineren Arbeiten über den Wiener und die geplante Werkausgabe. Er berichtet von Aberte, oder wie immer dieser Mann in Wirklichkeit heißt, und von dem Kontakt mit der Kriminalpolizei. Sie hört ihm so aufmerksam zu, dass er immer ausführlicher wird und sein Essen vergisst.
    »Ich ahnte nicht, dass das Leben eines Hochschullehrers so spannend ist«, sagt sie, »deine Weiskern-Geschichte ist ein halber Krimi, den musst du aufschreiben, das gehört ins Vorwort, wenn du seine Werke herausgibst.«
    »Wenn«, sagt er, »ja, wenn, aber das steht alles noch in den Sternen. Erst muss ich jemanden finden, der das Buch für den Verlag finanziert. Das ist auch ein Krimi, nur nicht so spannend, nicht so lustig und möglicherweise ohne Happyend. – Noch ein Glas Wein?«
    »Lass uns gehen, Rüdiger.«
    Er schaut sich im Gastraum um, er muss einen Moment warten, bis die junge Kellnerin auftaucht und sein Winken bemerkt.
    »Die Rechnung bitte«, sagt er, als sie schließlich an den Tisch kommt.
    Sie nickt und geht an die Bar zurück. Minuten später erscheint die ältere, korpulente Frau mit der Lederschürze, den Rechnungsbon in der Hand. In diesem Augenblick betreten zwei uniformierte Polizisten die Gaststätte, bleiben in der Tür stehen und mustern prüfend den gesamten Gastraum. Sie geht zu ihnen, die Polizisten erklären ihr etwas, sie schüttelt den Kopf, dann schaut sie sich um, weist auf Stolzenburg, und alle drei kommen an seinen Tisch.
    »Verzeihung«, fragt die Chefin, »haben Sie die Polizei gerufen?«
    Stolzenburg zögert und schüttelt bereits den Kopf, als ihm einfällt, dass die Polizei durch den Anruf seine Handynummer hat.
    »In der Tat, ich habe angerufen. Allerdings vor fast einer Stunde.«
    »Die Informationen waren unvollständig«, sagt einer der Polizisten, »der Anruf wurde abgebrochen. Was wollten Sie melden, warum sollten wir kommen?«
    »Ich bin überfallen worden, ich wurde angegriffen.«
    »Hier im Restaurant?«
    »Ja.«
    »Sind der oder die Täter noch im Gastraum?«
    »Nein. Die sind verschwunden. Abgehauen, als ich die Polizei rief.«
    »Gibt es Zeugen für den Überfall?«
    »Ich habe nichts gesehen«, mischt sich die stattliche Chefin ein, »und Rita, meine Kellnerin, auch nicht. Hier haben nur ein paar Mädchen die Zeche geprellt. Aber da mache ich nicht gleich eine Anzeige.«
    »Die Herrschaften am Nachbartisch haben es gesehen«, sagt Stolzenburg, wendet sich um, aber das junge Paar hat die Gaststätte bereits verlassen, er war so in seinen Weiskern-Bericht vertieft gewesen, dass er es nicht bemerkt hat.
    »Und sonst hat keiner den Überfall mitbekommen? In einer Gaststätte?«, fragt der Polizist verwundert. Dann wendet er sich an Henriette: »Sie können es bezeugen?«
    »Die Dame war zu dem Zeitpunkt noch nicht hier. Sie konnte es nicht sehen, zum Glück nicht«, sagt Stolzenburg rasch.
    »Ich darf mich einen Moment zu Ihnen setzen?«
    Ohne die Antwort abzuwarten, greift der Polizist sich einen Stuhl und nimmt einen kleinen Computer aus der Tasche, sein Kollege lässt sich wortlos auf dem

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