Weiskerns Nachlass
Hose. Stolzenburg springt auf, für einen Moment will er sich auf das Mädchen stürzen, sie ohrfeigen. Sie ist zurückgewichen und funkelt ihn wütend an, umgeben von ihren Freundinnen, die Mädchen kreischen, ihre ausgestreckten Finger zeigen auf Stolzenburgs nasse Hose. Der junge Mann vom Nachbartisch steht auf, kommt zu ihm und fragt, ob er helfen könne, dann nimmt er einen Holzstuhl und geht auf die Mädchengruppe zu.
»Gehen wir«, sagt eins der Mädchen.
»Noch so ein Arsch«, erwidert die Rothaarige.
Der junge Mann ist stehengeblieben, den Holzstuhl hochhaltend. Das rothaarige Mädchen, greift, ohne den Blick von ihm zu wenden, in ihren Rucksack und hat wieder ihre Kette in der Hand, die sie bedrohlich rotieren lässt.
»Gehen wir, Birgit, es wird langweilig«, sagt eins der Mädchen. Sie bewegen sich langsam zu ihrem Tisch zurück, ihre Anführerin lässt noch immer die Kette durch die Luft schwirren, doch auch sie weicht zurück, ohne Stolzenburg und den jungen Mann aus dem Auge zu lassen. Als die Mädchen hinter der Wandecke verschwunden sind, bedankt sich Stolzenburg bei dem Mann vom Nachbartisch für dessen Hilfe.
»Was war denn das? Hatten Sie mit diesen Kindern Ärger?«
»Nein«, sagt Stolzenburg, »nein, die brauchen keinen Ärger, um zuzuschlagen.«
»Das sind doch noch Kinder. Die waren zwölf, höchstens vierzehn Jahre alt. Da hätten Sie nur einmal richtig zulangen müssen, und die wären verschwunden.«
»Ja, vielleicht«, sagt Stolzenburg, »aber ich habe keine Schlagkette und keinen Schlagring bei mir. Ich laufe völlig unbewaffnet durch die Stadt, und diese Kinder sind bestens ausgerüstet.«
»Na, mir würde das nicht passieren«, sagt der junge Mann und setzt sich wieder an seinen Tisch.
Die Mädchen haben ihre Jacken angezogen und verlassen eilig die Gaststätte.
»Bis bald, Papi«, ruft die Rothaarige und winkt ihm vergnügt zu, als sie hinausgeht, die anderen schütten sich aus vor Lachen.
Stolzenburg geht auf die Toilette, vergeblich bemüht er sich, den Waschraum abzuschließen, dann zieht er kurzentschlossen die Hose aus und hält sie minutenlang in den warmen Luftstrahl des elektrischen Handtrockners über dem Waschbecken. Immer wieder muss er den Knopf drücken, da das Gerät sich nach wenigen Sekunden ausschaltet. Schließlich tupft er die Hose mit Toilettenpapier ab, doch sie ist immer noch feucht, und die Wasserflecken heben sich deutlich ab. Er zieht die Hose an, geht in den Gastraum zurück, neugierig beäugt von dem jungen Paar, setzt sich an den Tisch und bestelltbei der Kellnerin eine weitere Flasche Wasser und einen Schnaps. Als sie das Bestellte bringt, legt sie einen Rechnungsausdruck auf den Tisch und sagt, so viel habe er für seine Tochter und ihre Freundinnen zu zahlen.
»Für meine Tochter?«, fragt Stolzenburg. »Ich habe eine Tochter, aber die war, da bin ich mir sehr sicher, noch nie in diesem Restaurant.«
Die Kellnerin, ein junges Mädchen, bekommt unvermittelt hektische rote Flecken, sie fährt sich nervös durch die Haare: »Die junge Dame hat doch mit Ihnen gesprochen, das habe ich gesehen, und sie hat mir gesagt, Sie bezahlen die Rechnung.«
»Das war nicht meine Tochter, ganz bestimmt nicht.«
»Aber sie hat doch zu Ihnen gesagt …«
»Nochmals, das war nicht meine Tochter. Das waren kleine Gangster, und für die werde ich bestimmt nichts bezahlen.«
Plötzlich steht Henriette neben dem Tisch, Stolzenburg springt auf, dann denkt er an die noch immer feuchte Hose und setzt sich rasch, um gleich wieder aufzustehen. Henriette sieht ihn irritiert an, dann die Kellnerin.
»Gibt es ein Problem?«, erkundigt sie sich. Ihr Blick fällt auf Stolzenburgs Hose, sie lächelt und wirkt für einen Moment peinlich berührt.
»Bitte, setz dich«, sagt Stolzenburg. Er hilft ihr aus dem Mantel und legt ihn über eine Stuhllehne.
»Was darf ich dir bestellen? Ein Glas Wein?«
»Lieber einen Tee.«
»Bringen Sie uns bitte einen Tee und für mich ein Glas trockenen Weißwein, einen Veltliner.«
Die Kellnerin bleibt unschlüssig am Tisch stehen,sie hält den Computerausdruck in der Hand und starrt Stolzenburg ratlos an.
»Und wer bezahlt die Rechnung?«, fragt sie.
»Ich weiß es nicht. Ich sicher nicht«, sagt Stolzenburg freundlich, »wie wäre es mit denen, die bestellt haben?«
»Die sind gegangen, wie Sie gesehen haben. Die haben mir gesagt, Sie würden bezahlen.«
Stolzenburg wartet schweigend.
»Verdammte Scheiße«, sagt die Kellnerin,
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