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Weiskerns Nachlass

Weiskerns Nachlass

Titel: Weiskerns Nachlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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vierten Stuhl nieder.
    »Wollen Sie jetzt bezahlen?«, erkundigt sich die Chefin.
    Stolzenburg holt sein Portemonnaie heraus, doch Henriette sagt, dass sie die Rechnung übernehme. Der Polizist tippt die persönlichen Daten von Stolzenburg in seinen Computer und befragt ihn dann langwierig. Als er wissen will, ob er die Mädchen schon einmal getroffen hat, zögert Stolzenburg, dann berichtet er von dem Überfall, bei dem er mit einer Kette niedergeschlagen wurde, er sieht dabei Henriette an, die scheinbar teilnahmslos zuhört. Schließlich muss er auf dem Computer unterschreiben, der Polizist klärt ihn darüber auf, sie würden sich in den nächsten Tagen bei ihm melden, er müsse vermutlich auf ihrem Revier erscheinen.
    »Vielleicht haben Sie Glück, und wir greifen die Kinder«, sagt er zur Verabschiedung.
    »Und dann?«, fragt Stolzenburg. »Was geschieht dann mit den Mädchen?«
    Beide Polizisten schnauben verächtlich und laut, der Wortführer zuckt die Schultern, wortlos.
    »Das Leben der Dozenten und Professoren ist offensichtlich sehr viel spannender, als ich dachte«, sagt Henriette, nachdem die beiden Polizisten verschwunden sind, »oder hattest du etwas mit einem dieser Mädchen?«
    »Henriette, bitte!«
    »Man wird doch mal fragen dürfen. An dir ist alles sehr überraschend. Da gibt es einen Betrüger, der deinGeld für gefälschte uralte Briefe will, ein Kriminalkommissar taucht auf, eine Mädchengruppe stellt dir nach, in der Gaststätte findet eine polizeiliche Vernehmung statt. Welche Überraschungen habe ich noch zu erwarten? Einen Banküberfall? Bist du vielleicht ein Spion? Oder ein Heiratsschwindler? Ich dachte, nach einem Tag voller Stress hätte ich hier eine ruhige Stunde, aber du führst ja ein heftiges Leben. Ist das jeden Tag so?«
    »Ja«, sagt er, »und das war heute ein ruhiger Tag. Richtig turbulent wird es, wenn sich zusätzlich das Finanzamt meldet.«
    Henriette ist müde und will nur noch nach Hause. Vor ihrer Haustür entschuldigt er sich für den misslungenen Abend, es sei nicht seine Schuld gewesen, sagt er. Sie verabschiedet sich freundlich, aber kühl von ihm. Nachdem in ihrer Wohnung das Licht angegangen ist, setzt er sich auf sein Fahrrad. Dumm gelaufen, sagt er laut zu sich. Er hat ein ungutes Gefühl, will ihm aber nicht weiter nachgehen. Daheim setzt er sich an den Schreibtisch und arbeitet die Post durch.

Achtzehn
    Zwei Tage später – Henriette hat sich bei ihm nicht gemeldet, er ist ungeduldig, will sie aber nicht drängen   – überrascht ihn ein Zettel in seinem Sekretariatsfach. Hollert hat sich zu seiner Sprechstunde angemeldet, ausgerechnet Sebastian Hollert, dieser Student, der in seinen Seminaren gelangweilt herumsitzt und noch nie einen einzigen Satz von sich gegeben hat, der auch nur den Anschein von Geist oder kenntnisreichem Wissen vermitteln konnte. Stolzenburg ist gespannt, warum er seine Sprechstunde besucht, denn mit einem privaten Problem würde dieser Kerl nicht zu ihm kommen, und ein fachliches Anliegen, das den Rahmen eines Seminars überschreitet, wird er ebenfalls nicht haben, nicht einmal kennen oder sich vorstellen können. Andererseits hat er bei ihm keinen Tränenausbruch zu befürchten, mit denen die Studentinnen gern ihre Bitten würzen.
    Hollert erscheint pünktlich. Stolzenburg fordert ihn mit einer Geste auf, Platz zu nehmen, und beschäftigt sich weiter mit einem Mahnbrief der Universitätsverwaltung, E-Mails nur im Notfall auszudrucken, um Papier, und damit Geld zu sparen, den Sylvia ihm gab. Dann schaut er kurz auf, sieht Hollert scheinbar überrascht an und fragt ihn nach seinem Anliegen. Als der ihm sagt, er überbringe eine Einladung seines Vaters und seines Onkels Friedl zu einem Abendempfang, lässt er den Brief auf den Tisch fallen und starrt den Studenten an.
    »Ihr Vater?«, fragt er irritiert, »Ihr Vater und Ihr Onkel laden mich ein? Warum? Wieso?«
    »Sie würden Sie gern kennenlernen. Ich habe von Ihnen erzählt.«
    »Und was wollen sie von mir?«
    »Ich vermute, er und mein Onkel möchten von Ihnen etwas über mich erfahren. Aber ich bin mir nicht sicher. Onkel Friedl hat sich nach dem Studium erkundigt, wollte etwas über meine Dozenten hören, wollte wissen, wer von ihnen etwas taugt. Ich habe ihm einiges erzählt, und da er mit meinem Vater eine Woche in Leipzig ist, würden die beiden Sie gern sprechen – wenn es Ihnen möglich ist. Der Empfang ist in der Wohnung eines Geschäftspartners, hier in der

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