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Weiskerns Nachlass

Weiskerns Nachlass

Titel: Weiskerns Nachlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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Studiengänge belegen. Das ist allein zeitlich gar nicht zu schaffen.«
    »Es ist möglich, und ich versuche es halt.«
    »Hollert, zum ersten Mal, zum allerersten Mal bin ich von Ihnen beeindruckt. Ich hielt Sie bislang für einen völlig desinteressierten und eigentlich faulen Studenten, und nun höre ich, Sie sind ein besonders fleißiger Studiosus. Aber warum zum Teufel studieren Sie Kulturwissenschaft? Das ist mir ein Rätsel. Sie brauchen es nicht, und es langweilt Sie.«
    »Das ist eine Familiengeschichte. Ich glaube nicht, dass Sie die hören wollen.«
    »Nur zu, ich bin ganz Ohr, Hollert.«
    »Es liegt an Onkel Friedl. Ihm gehört die Firma zur Hälfte, er ist unverheiratet. Vater und ich hoffen, dass nach seinem Tod die Firma wieder in eine Hand kommt.«
    »In Ihre Hand?«
    »Ja. Anderenfalls könnte die Kapitaldecke knapp werden, oder es droht Zersplitterung oder eine Aktiengesellschaft, was Vater bisher umgehen konnte. Für die weitere Existenz unserer Firma wäre es vorteilhaft, alles wieder zusammenzuführen.«
    »Ich verstehe. Aber was hat das mit Ihrem Studium an unserem Institut zu tun?«
    »Onkel Friedl ist ein schräger Vogel. Sehr liebenswert, ein Original, aber verschroben. Er hat sein gesamtes Vermögen, jeden Penny seines Gewinns in seine Sammlung gesteckt. Autographen, das ist sein Hobby, ein offenbar sehr teures. Er hat sich hinter seiner Villa extra einen Archivbunker bauen lassen, um seine Schätze wohlversorgt zu wissen.«
    «Ein Autographensammler, ich bin beeindruckt. Hollert, Sie erstaunen mich schon wieder.«
    »Autographen sind Originalhandschriften …«
    »O Gott, ich weiß. Sie müssen mir nicht erklären, was Autographen sind.«
    »Und da finden Sie alles, was Sie wollen. Luther und Goethe, Hitler und Bismarck, was Sie nur wollen. Und von diesem Konfuzius und Ihrem Schauspieler aus Wien, von dem Sie uns manchmal erzählten, finden Sie bei Onkel Friedl hundertprozentig eine Handschrift.«
    Stolzenburg schaut ihn entgeistert an. Für einen Moment ist er irritiert. Was weiß Hollert von Weiskern? Er hat gelegentlich und eher aus Versehen über seine Forschung in den Seminaren gesprochen, aber das war selten, sehr selten. Wieso kommt Hollert jetzt plötzlich auf Weiskern? Steckt er mit diesem Aberte unter einer Decke? Ist er einer der Hintermänner? Hat er diesem Aberte von seinen Weiskern-Forschungen erzählt und gemeinsam mit ihm die Fälschungen erstellt, um ihn hereinzulegen? Aber dann würde er jetzt nichts davon erwähnen. Nein, es muss ein purer Zufall sein, wenn Hollert auf einmal Weiskern erwähnt, es kann nicht anders sein. Stolzenburg ist verwirrt, sieht Hollert anund erklärt von oben herab: »Nein, von Konfuzius wird selbst Ihr reicher Onkel nichts besitzen. Wenn Sie besser zugehört hätten, wüssten Sie, dass es von Konfuzius keine Handschriften gibt. Er hat nichts hinterlassen, alles, was wir von ihm wissen, haben seine Schüler aufgeschrieben, Jahrzehnte nach seinem Tod. Also von Konfuzius werden wir dort nichts finden. Und Weiskern? Vielleicht hat Ihr Onkel Fälschungen von ihm, könnte sein. Die Sammlung ist ein Vermögen wert?«
    »Vielleicht. Da wären wir wieder bei Buchwert, gemeiner Wert, Substanzwert. In prosperierenden Zeiten kann es ein Vermögen sein, möglicherweise das Doppelte und Dreifache der Anschaffungskosten. In Zeiten knapper Kasse kann der Wert ins Bodenlose stürzen. Wenn Sie keinen Käufer finden, ist das wertloses Altpapier.«
    »Unsinn. Wenn Ihr Onkel tatsächlich eine so bedeutsame Sammlung besitzt, dann ist das ein unermesslicher Schatz. Ein Vermögen! Ich denke, Sie haben davon einfach keine Ahnung, Hollert. Wie auch immer, was hat das mit Ihrem Studium zu tun?«
    »Onkel Friedl hat nie geheiratet, und er hat auch keine Kinder. Ich werde ihn beerben, sagt er. Allerdings unter einer Bedingung. Die Autographensammlung wird nach seinem Tod in eine Stiftung überführt, betreut von Fachkräften. Ich muss gottlob nicht selbst katalogisieren, oder was man so alles mit Sammlungen anstellen muss, aber ich werde im Vorstand der Stiftung sein, das verlangt Friedl, und darum will er, dass ich nicht nur Physik und Wirtschaft studiere. Bedingung für die Gesamterbschaft ist ein weiteres Diplom in einem sogenannten schöngeistigen Fach. Ich durfte mich entscheiden, Germanistik oder Romanistik, er hätte auch Geschichte akzeptiert, Hauptsache, es ist Schöngeisterei.«
    »Verstehe. Und warum haben Sie sich für Kulturwissenschaft entschieden?«
    Hollert

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