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Weiskerns Nachlass

Weiskerns Nachlass

Titel: Weiskerns Nachlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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auf den Weg ins Koslik macht, wo er mit Henriette verabredet ist. Sie wollte nicht, dass er sie von ihrer Dienststelle abholt.
    Als er an der Polizeidirektion vorbeikommt, muss er an Aberte und Hittich denken, er überlegt, den Kommissar anzurufen, um zu erfahren, was die Untersuchung ergeben hat und ob der Betrüger angeklagt und vor Gericht gestellt wird. Und er will wissen, ob dasKunsthaus in Wien ihn immer noch verdächtigt. Da er dem Kommissar geholfen hat, ist er sich sicher, dass Hittich ihm etwas erzählen wird. Vor dem Ratskeller sieht er Patrizia auf dem Bürgersteig, er hat das Gefühl, auch sie habe ihn gesehen und erkannt und sich dann rasch abgewandt. Einen Moment überlegt er, anzuhalten und vom Rad zu steigen, um ihr Guten Tag zu sagen, doch er unterlässt es, sie würde es mit Sicherheit falsch verstehen und sich Hoffnungen machen und möglicherweise bei ihm wieder auftauchen.

Siebzehn
    In der Gaststätte in der Nähe des Theaters, in dem er sich mit Henriette verabredet hat, sind nur drei Tische besetzt, eine alte Frau sitzt auf der gepolsterten Bank direkt an der Tür, am anderen Ende der Gaststätte ein junges Paar, an dem größeren Tisch vor der Bar hockt eine Gruppe von Jugendlichen, die sich lautstark unterhalten und kreischend auflachen, als er den Raum betritt. Hinter der Bar stehen zwei Kellnerinnen, eine junge und eine korpulente Frau mit Lederschürze, offenbar die Chefin der Gaststätte. Henriette ist noch nicht da, er ist eine Viertelstunde zu früh. Er nimmt sich eine Zeitung, geht durch den Raum am Ende der Gaststätte, setzt sich und bestellt ein Wasser. Die beiden jungen Leute neben ihm wollen ins Schauspielhaus, wie er mitbekommt, und streiten sich über Weihnachten. Der junge Mann will die Feiertage keinesfalls bei ihren Eltern verbringen, sondern nach Österreich zum Skilaufen fahren, seine Frau oder Freundin möchte unbedingt die Eltern besuchen, sie seien alt und keiner wisse, wie oft man sich noch zu diesem Fest sehen werde. Stolzenburg blättert die Zeitung durch und verfolgt dabei die Auseinandersetzung des jungen Paars. Er wirft einen Blick auf die Armbanduhr, Henriette müsste jeden Moment kommen.
    »Hey, Alter, hey, du Arsch, du hast dich immer noch zu entschuldigen.«
    Er fährt herum. Das dünne rothaarige Mädchen stehtein paar Schritte von seinem Tisch entfernt und funkelt ihn triumphierend an, hinter ihr haben sich ihre Freundinnen aufgebaut. Es ist die Gruppe, die an dem Tisch neben der Bar saß und die er beim Eintreten nur halb wahrgenommen hat. Er hat sie nicht erkannt, doch sie haben sofort aufgekreischt, als er die Gaststätte betreten hat. Er wirft einen Blick zu dem Nachbartisch, das junge Paar unterhält sich nicht mehr, sondern schaut zu der aggressiven Mädchengruppe vor seinem Tisch. Von den beiden Kellnerinnen ist keine zu sehen, Stolzenburg schiebt sich mit dem Holzstuhl zur Wand, er antwortet nicht, er überlegt, wie er die Situation entspannen kann. Jeden Augenblick wird Henriette kommen, und er will nicht, dass sie in eine Auseinandersetzung hineingezogen wird.
    »Na, du Arsch, wird es bald? Oder sollen wir nachhelfen?«
    Stolzenburg greift langsam nach seinem Handy. Ohne es aus der Jackentasche zu ziehen, erfühlt er die Tasten und tippt die Notrufnummer der Polizei.
    »Ich glaube, Sie verwechseln mich mit irgendjemand. Ich kenne Sie nicht«, sagt er. Die Mädchen brechen in lautes Gelächter aus.
    Eine der Kellnerinnen erscheint, wirft einen Blick in die Runde und verschwindet wieder. Die Mädchen hinter der Wortführerin starren ihn an. Die Rothaarige schiebt sich mit der Hüfte langsam nach vorn.
    »Dich kann man gar nicht verwechseln, du Arschgesicht«, brüllt sie und schaut sich nach ihren Freundinnen um. Stolzenburg nimmt das Handy aus der Tasche.
    »Kommen Sie bitte ins Koslik. Restaurant Koslik in der Zentralstraße. Es ist dringend«, sagt er, schaltet dasHandy aus und steckt es in die Tasche, wobei er das dünne, rothaarige Mädchen im Auge behält.
    »Der hat die Polizei angerufen«, sagt eins der Mädchen zu der Rothaarigen, »komm, verschwinden wir.«
    »Wartet«, befiehlt die Anführerin, und die Mädchen, die sich gerade zu ihrem Tisch zurückbewegten, bleiben sofort stehen. Das Mädchen geht zwei Schritte auf Stolzenburg zu und hält ihm den Mittelfinger ihrer rechten Hand vor die Nase.
    »Ich krieg dich, du Arsch«, zischelt sie, fährt mit der Hand über den Tisch und stößt sein Glas um, das Wasser ergießt sich über seine

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