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Weiskerns Nachlass

Weiskerns Nachlass

Titel: Weiskerns Nachlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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verzieht das Gesicht, dann grinst er: »Es erschien mir am leichtesten. Ich dachte, das mache ich mit links.«
    »Und nun ist es schwieriger, als Sie dachten.«
    Hollert nickt. »Das Problem ist«, sagt er, »mit nichts auf diesem Gebiet kann ich etwas anfangen. Ich habe in den Konfuzius reingeschaut, das sagt mir nichts. Und Shakespeare, das ist für mich reines Wortgeklingel, tut mir leid. Vielleicht verstehe ich es, wenn ich so alt bin wie Sie, ich weiß nicht. Aber mir ist wohler, wenn ich etwas berechnen kann, Energiedichte, Wirkungsgrad, das begreife ich. Aber diese ganze Lyrik, nein, tut mir leid, ich kann nichts damit anfangen.«
    »Sie sind ehrlich, Hollert, das ist ja schon etwas. Wenn ich Sie richtig verstanden haben, haben Sie einiges zu tun, um alles zusammenzuerben.«
    »Richtig. Alles mühsam zusammenerben, genau das habe ich Papa gesagt.«
    »Und es ist wichtig, dass Sie alles bekommen? Das Erbe des Herrn Papa reicht nicht?«
    »Die Firma muss riesige Summen investieren, das nächste Jahrzehnt entscheidet über die Zukunft der Firma, darüber, ob wir weiter mitreden können oder untergehen. Batterien, Akkus, Kondensatoren, der Markt verlangt eine völlig neue Generation. Es wird eine viel höhere Energiedichte benötigt, als wir derzeit herstellen können. Sie müssen schnellladefähig sein, hochstromfähig.«
    »Klingt sehr aufregend«, wirft Stolzenburg ironisch ein.
    »Ich weiß, das sagt Ihnen nichts, aber wir müssen uns für bestimmte Typen entscheiden, Zinn-Schwefel-Lithium oder Lithium-Polymer, wir müssen rascher die Forschungsergebnisse in neue Produkte überführen, das muss künftig unter einem Jahr liegen und darf nicht wie bisher drei Jahre dauern, wenn wir uns behaupten wollen. Und all das kostet, muss finanziert werden.«
    »Und darum der Onkel Friedl und die Kulturwissenschaft?«
    »Ja.«
    »Ich ahnte bisher nicht, was in Ihnen steckt. Aber ich ahne auch nicht, wie ich Ihnen helfen kann und was Sie eigentlich von mir wollen. Schön, Ihr Vater und Ihr Onkel wollen mich sprechen, aber was würde Ihnen das helfen?«
    »Kommen Sie morgen Abend?«
    »Ich weiß nicht. Wollen Sie denn wirklich, dass ich morgen erscheine? Was würde es Ihnen nützen, wenn ich Ihren alten Herrschaften erzähle, wie ernsthaft Sie das Studium betreiben und was ich von Ihnen halte? Denn Sie erwarten doch hoffentlich nicht, dass ich für Sie lüge?«
    Hollert sieht ihn an und antwortet ganz ruhig: »Es wäre gut, wenn Sie kommen. Und ich hoffe, nein, ich erwarte, dass Sie nur das Beste über mich sagen.«
    Stolzenburg spürt, wie augenblicklich seine Wut auf diesen reichen Schnösel und seine Vorurteile in ihm wieder aufsteigen, diese Verachtung, die für Minuten einer wirklichen Verblüffung gewichen war, in denen erfast Achtung für den von Wirtschaft und Technik besessenen jungen Mann empfand.
    »Was erlauben Sie sich?«
    »Es ist ein Geschäft, Herr Dr. Stolzenburg, ein reines Geschäft. Ich möchte, dass Sie meinem Onkel ein paar freundliche Worte über mich sagen, und darüber hinaus möchte ich, nein, ich muss dieses Studium beenden, und zwar gut beenden. Und ich zahle Ihnen dafür zehntausend Euro. Zehntausend sofort, und weitere fünfzehntausend, wenn ich das Diplom in Händen halte. Die Note muss nicht sehr gut sein, aber besser als nur befriedigend. So ist die Vereinbarung mit Onkel Friedl. Ich würde Ihnen mehr geben, denn die Sache ist für mich mehr wert, aber ich habe nicht mehr. Diese fünfundzwanzigtausend sind derzeit für mich das Äußerste. Ich bin ein seriöser Kaufmann, ich verspreche nichts, was ich nicht halten kann.«
    »Und Sie glauben, ich bin käuflich? Sie halten mich für ein käufliches Subjekt? Wie verkommen sind Sie eigentlich, Herr Hollert? Ist Ihnen schon einmal bei all Ihren Berechnungen so etwas wie Moral untergekommen?«
    Hollert gibt sich unbeeindruckt. Er bittet Stolzenburg, ihm noch einen Moment zuzuhören.
    »Erlauben Sie, zur Moral wollte ich noch ein Wort sagen. Ich komme zu Ihnen mit einem, nun, sagen wir, zwielichtigen Vorschlag. Er klingt ehrenrührig, das gebe ich zu. Aber betrachten Sie die Sache einmal in aller Ruhe. Ich benötige von Ihnen ein Papier, das ich leider auf eine andere Art nicht bekommen kann. Ihre Wissenschaft ist mir ein Rätsel, macht mir keinen Spaß, und bedauerlicherweise kann ich es nicht zwingen. Ich brauche das Papier, aber ich brauche es nur, um es meinem Onkel vorzuzeigen, und dann wird es für immer verschwinden. In Ihrem Fach werde ich

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