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Weiskerns Nachlass

Weiskerns Nachlass

Titel: Weiskerns Nachlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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Nachmittag im Rathaus anzurufen, auch wenn ihr private Telefonate im Büro unangenehm sind.
    Gegen zwei Uhr nachts wird er wach und wälzt sich eine Stunde schlaflos im Bett. Der Kerl hat mir fünfundzwanzigtausend Euro geboten, geht ihm durch den Kopf, und er hat das Gefühl, dass ihn diese Zahl aus dem Tiefschlaf gerissen hat. Fünfundzwanzigtausend. Er hätte ein paar Probleme weniger, er könnte Schulden abzahlen, hätte das Finanzamt vom Hals, könnte sich etwas Schönes leisten, einen kleinen Urlaub mit Henriette, ein Auto, das etwas jünger ist als die fünfzehnjährige Rostlaube vor seinem Haus. Selbst die erste Rate, die zehntausend Euro, würde ihm Luft verschaffen. Er verflucht Hollert. Es ist für ihn vollkommen ausgeschlossen, sich bestechen zu lassen, aber wenn dieser reiche Schnösel nicht mit diesem Angebot gekommenwäre, müsste er jetzt nicht diesen dummen Träumereien nachhängen, müsste er nicht wider seinen Willen darüber nachdenken, was derart viel Geld für ihn bedeutet. Wenn er zugestimmt hätte, dann käme dieser Hollert vermutlich nach einem Seminar zu ihm und würde ihm ein dickes Briefkuvert übergeben, denn vermutlich werden diese Art Geschäfte bar abgewickelt. Er stünde an jenem Abend mit einer Geldsumme in seiner Wohnung, wie er sie noch nie in Händen gehalten hatte. Er hat Mühe, diese Gedanken zu verscheuchen, um endlich wieder einschlafen zu können.
    Henriette ruft auch am nächsten Tag nicht an. Am Nachmittag wählt er ihre Büronummer, sie ist sofort am Apparat und bittet ihn, einen Moment zu warten. Sie legt den Hörer ab und spricht mit irgendjemandem, dann meldet sie sich wieder und sagt, sie könne nun sprechen.
    »Wann sehen wir uns?«, fragt er.
    Sie bleibt stumm, und er fragt, ob sie noch am Apparat ist.
    »Ich weiß nicht, wann wir uns sehen können«, sagt sie schließlich.
    »Wie wäre es mit heute Abend? Wir können auch zu Millionärs gehen, Henriette. Ich habe für heute Abend eine Einladung zu richtig reichen Leuten, stinkreich. Sie wollen mich sprechen, weibliche Begleitung ist willkommen, vermutlich sogar erwünscht. Wollen wir uns nicht einmal ansehen, wie reiche Leute leben?«
    »Ich weiß nicht, ob ich dich sehen will.«
    »Was ist geschehen, Henriette? Ist irgendetwas passiert?«
    Es dauert wieder ein paar Sekunden, ehe sie antwortet: »Ich bin mir nicht sicher, Rüdiger, ob ich dich wiedersehen will. Du verschweigst mir zu viel, du bist nicht aufrichtig.«
    »Was redest du für einen Unsinn? Was habe ich dir verschwiegen? Wo war ich nicht aufrichtig?.«
    »Ich weiß nicht, was du mir alles verschweigst. Aber gestern, da hast du mir irgendetwas erzählt, vorgeflunkert, und bist erst mit der Wahrheit herausgerückt, als die Polizei nachfragte.«
    »Um Gottes willen, Henriette, ich wollte dir nicht den ganzen Quark erzählen, um dich nicht zu erschrecken. Ja, gut, ich habe es dir nicht gesagt, ich bin in der Tat von einer Bande kleiner Mädchen überfallen worden, eigentlich sogar zweimal. Aber erstens wollte ich nicht, dass du dir Sorgen machst, und zum anderen ist es ja nicht eben sehr schmeichelhaft für mich, wenn ich von kleinen Mädchen aufs Kreuz gelegt wurde. Was ist Schlimmes daran, wenn ich dich vor dem Dreck schütze, wenn ich dir diese Dämlichkeiten verschweige?«
    »Und was verschweigst du noch? Ersparst du mir noch andere Sachen? Gibt es noch etwas? Vielleicht noch irgendein Mädchen, mit dem du mich verschonen willst?«
    »Henriette, bitte!«
    »Nein, Rüdiger, das habe ich zu oft erlebt, dieses Verschweigen, weil es angeblich nicht wichtig ist, weil ich geschont werden soll. Das vertrage ich nicht. Ich möchte nicht, dass immer alle über alles Bescheid wissen, nur ich erfahre von dem andern nichts. Das ist einer der Gründe, warum ich allein lebe.«
    »Das ist völlig überspitzt. Gut, ich habe anfangs nicht alles erzählt, es hatte nichts mit uns zu tun, aber wenndu willst, einverstanden, dann werde ich dir in Zukunft alles erzählen, restlos alles.«
    »Ich muss auflegen, ich habe den nächsten Termin.«
    »Und wann sehe ich dich?«
    »Ich weiß nicht. Ich melde mich. Und ruf mich bitte nicht im Büro an.«
    Sie legt auf, ohne sich zu verabschieden. Stolzenburg bleibt vor dem Telefon sitzen. Er hat schnell und heftig mit ihr gesprochen, um ihre eher undeutlichen Vorbehalte zu zerstreuen, doch auch wenn er sich Wort für Wort das eben beendete Gespräch durch den Kopf gehen lässt, er versteht sie nicht, er begreift nicht, was sie

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