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Weiskerns Nachlass

Weiskerns Nachlass

Titel: Weiskerns Nachlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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nie arbeiten, und ich denke, das glauben Sie mir. Ich brauche das Papier, um das Erbe meines Onkels zu bekommen, um damit die Firma grundlegend umzustrukturieren.«
    Stolzenburg betrachtet überrascht und fassungslos den jungen Mann. Dieser Student, den er bisher als einen Versager eingeschätzt hatte, für einen Blindgänger hielt, beeindruckt ihn durch die Ernsthaftigkeit und sein Engagement. Fast mit Bewunderung hört er den Hollertschen Ausführungen weiter zu.
    »Wenn Sie mir das Diplom verweigern, wird Onkel Friedl sein gesamtes Vermögen zu seinem Antiquar in Tutzing schaffen und in seine geliebte Stiftung stecken, auch das Erbe. Unsere Firma wird es in zehn Jahren nicht mehr geben, wir werden von einem japanischen Konzern, der bislang ein sehr guter Vertragspartner war, übernommen und sind vom Markt. Vater und Onkel werden ausbezahlt, ich habe dann ausgesorgt und kann mein Leben lang durch die Welt reisen. Aber die Firma wird es nicht mehr geben. Die Firma, das sind fünfundneunzig Jahre Firmengeschichte, das sind zweihundertfünfzig Beschäftigte und mehr als hundert bei den Zulieferern. Das alles ist dann Vergangenheit. Wie gesagt, wenn Sie Nein sagen, wenn Sie das Geschäft ausschlagen, werde ich mir ein süßes Leben machen können, die neuen Arbeitslosen haben dann mehr Sie als ich zu verantworten. Ist das unmoralisch?«
    »Sie fragen mich, ob das unmoralisch ist? Es ist sogar strafbar. Allein der Versuch, schon Ihr Angebot hatKonsequenzen, wenn ich Meldung erstatte, wozu ich verpflichtet bin.«
    »Ich weiß«, sagt Hollert, »ich habe alles auf eine Karte gesetzt. Sie haben mich in der Hand. Und ich habe es getan, obwohl ich weiß, dass Sie mich nicht leiden können, dass Sie mich verachten. Ich habe es getan, weil Vaters Firma kaputtgeht und ich etwas tun muss.«
    Stolzenburg betrachtet ihn mit zusammengekniffenen Lippen.
    »Und noch eins, Herr Doktor Stolzenburg«, fährt der Student fort, »ich habe mich vor drei Wochen dazu entschlossen, während eines Ihrer Seminare. Sie hatten wieder mal über Ihren Konfuzius gesprochen, erzählten, wie er die Könige behandelte, wie er sie belehrte. Ich kenne mich mit Konfuzius nicht aus und nicht mit Morallehre, aber was Sie uns von diesem aufrechten Chinesen erzählten, der sich gegen den Vater stellte, weil der irgendetwas Schlimmes getan, der gegen ihn aussagte, weil der Vater ein Verbrechen begangen hatte, das beeindruckte mich. Sie sagten, Konfuzius verurteilte den angeblich aufrechten Chinesen, weil er dem Vater Unrecht tat, nur um dem Recht Genüge zu tun. Das heißt doch, Konfuzius verurteilt ihn, weil er nicht gegen den Vater aussagen, ihn nicht anzeigen durfte. Der eigene Vater, so verstehe ich das, muss für den Sohn über dem Recht stehen. Meinte das nicht Ihr Konfuzius, oder habe ich das falsch verstanden? Und das entspricht der Situation, in der ich mich befinde. Wie würde Ihr Konfuzius reagieren?«
    »Oho, Hollert, was für Töne«, höhnte Stolzenburg, »Sie greifen sehr hoch. Ich ahnte gar nicht, mit welch einer Größe ich es in meinem armseligen Seminar zu tunhabe. Sie vergessen, der Aufrechte Gong, denn den meinen Sie doch, zeigte zwar seinen Vater an, ließ sich aber aus Sohnesliebe für den vom Gericht verurteilten Vater hinrichten. Erst dieses Opfer versöhnte Konfuzius. Sie haben also noch viel vor, wenn Sie ihm folgen wollen.«
    »Bitte, Herr Doktor Stolzenburg, ich bin Ihnen völlig ausgeliefert, Sie können mich schlachten. Sie können zur Universitätsleitung gehen, vielleicht werde ich dann exmatrikuliert, und Onkel Friedls Erbe ist futsch. Die Moral, sagten Sie, na schön, aber entstünde irgendwo ein Schaden? Ihnen, der Universität, für Ihre Kulturwissenschaft? Ich brauche nur diesen Zettel, der Ihnen nicht schadet, der eine Firma rettet und der Ihnen überdies Geld verschafft. Wo steckt da die Unmoral? Ich sehe nichts Verwerfliches.«
    »Gut, Hollert, das war’s, denke ich. Sie sollten gehen.«
    »Werden Sie morgen Abend kommen?«
    »Gehen Sie. Ich überlege es mir. Aber erwarten Sie nichts von mir. Es kann sein, dass alles, was ich für Sie tun kann und tun werde, die Freundlichkeit sein wird, Ihren heutigen Auftritt und dieses Angebot zu vergessen.«
    Er spürt, dass er Hollert nicht beeindrucken oder umstimmen kann, dass dieser Schnösel nicht begreifen kann oder will, wie unverschämt er sich soeben seinem Lehrer gegenüber verhalten hat. Er hat das viele Geld im Hintergrund, sagt sich Stolzenburg, er weiß, er wird immer

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