Weiß (German Edition)
eine einzige Wolke war zu sehen. Der Himmel wirkte beinahe surreal. Er war so unnatürlich blau, dass er Lewin künstlich vorkam. Die Sonne stand ihm jetzt im Rücken und tauchte seine gesamte Umgebung in ein grelles, alles verbrennendes Licht. Der Schweiß lief ihm in dicken, salzigen Tropfen über das Gesicht. Er blieb stehen und atmete schwer.
Für eine Sekunde kam er sich vor wie in einem Traum. Das unwirkliche Blau des Himmels, die unerträgliche Hitze und die absolut menschenleere Straße vor und hinter ihm. Nicht zu vergessen die tote Katze und Aaron.
Er sollte sich beeilen. Sollte Galen aufsuchen, sich untersuchen lassen und eventuell irgendein Medikament bekommen.
Aber vielleicht war das auch Quatsch.
Vielleicht sollte er sich besser hinsetzen. Genau hier, mitten auf die Straße. Er würde warten, bis ein Auto vorbeifuhr, bis eine Katze ihn ansprang oder einer der Einwohner dieser verdammten Stadt auf ihn zupreschte und ihm eine Gemeinheit an den Kopf warf.
Wie auf ein Stichwort traf Le win in diesem Augenblick etwas Kleines, Scharfes und unglaublich Schmerzhaftes an der linken Wange und riss ihn unsanft aus seinen Gedanken.
Die Grubenbauer -Jungs
Die Grubenbauer-Jungs waren im Grunde genommen zwei harmlosere Miniaturausgaben von Kneif. Das soll nicht etwa heißen, dass die beiden harmlos gewesen wären, ganz im Gegenteil. Ihre Harmlosigkeit ergab sich bloß in einem direkten Vergleich zu Kneif, da der in Sachen Gefährlichkeit einfach konkurrenzlos war.
Die Grubenbauer-Jungs waren Zwillinge. Ich hörte mal, dass es eigentlich drei Jungs hatten werden sollen, der dritte es allerdings nur in Form eines eingewachsenen Fötus aus dem Mutterleib geschafft hatte. Ich vermute, dass einer der beiden lebenden Jungs, das kleinere, schwächere Geschwisterchen wahrscheinlich noch im Mutterleib gefressen hat und diesen seitdem in seinem Inneren mit sich herumtrug.
Für eine akzeptable medizinische Erklärung reicht diese Vermutung natürlich nicht aus, aber trotzdem kann man die einleuchtenden Aspekte meiner Theorie nicht außen vor lassen. Abgesehen davon ist das alles hier ohnehin lediglich Spekulation, denn ich weiß nicht einmal, ob die ganze Sache mit dem eingewachsenen dritten Zwilling, der dann ja eigentlich ein Drilling wäre, überhaupt stimmt.
Wie auch immer, die Grubenbauer-Jungs waren schreckliche Nervensägen. Wenn sie in ihren sadistischen Leidenschaften auch noch nicht ganz so extravagant waren wie Kneif, gelang es ihnen doch das ein oder andere Mal, ihren Mitmenschen gehörig den Tag zu versauen. Du kennst sicher all diese boshaften und nervigen Kinderstreiche, wie etwa die angezündete Hundescheiße auf der Türschwelle oder den Sekundenkleber unter der Türklinke. Diese Beispiele kannst Du augenblicklich wieder vergessen. Die Grubenbauer-Jungs gingen nämlich keinesfalls derart subtil vor. Ihr Metier waren die Steine.
Sie liebten große Steine, kleine Steine, spitze Steine, runde Steine und flache Steine. Hauptsache Steine. Und diese Steine liebten sie so sehr, dass sie sie scheinbar unbedingt mit ihren Mitmenschen teilen wollten. So warfen sie die Steine nach Autos, nach Katzen, nach Vögeln, nach kleinen Mädchen, nach alten Leuten, nach Milchflaschen, die der Milchmann wie in alten amerikanischen Filmklassikern vor die Eingangstüren stellte, und letztendlich sogar, und vor allen Dingen, auch nach mir.
Fünf
Lewin riss seinen Kopf herum und blickte in die Richtung, aus der der Stein gekommen war. Er kniff die Augen zusammen und entdeckte eine Bewegung in einer meterhohen Hecke. Die Zweige wackelten hin und her und einen Augenblick später ertönte ein hämisches Kichern aus dem Gebüsch. Lewin wurde wütend.
„Ihr verdammten Mistgören, macht dass ihr verschwindet. Wenn ich euch erwische, prügle ich euch windelweich.“
Das Kichern verstummte und ein Jungengesicht tauchte über der Hecke auf. Das blonde Haar war strubbelig, das Gesicht schmutzig und aus der Nase lief heller, glänzender Rotz. Der Junge wischte sich mit dem Arm darüber und starrte Lewin an. Dann erschien noch ein zweiter, identischer Kopf über der Hecke und die beiden Jungs begannen zu grinsen.
„So?“ Provozierende Pause. „Und wie willst du das machen?“
Lewin trat einen drohenden Schritt auf die beiden zu und blieb dann stehen. Er wollte sie auf keinen Fall wieder davonkommen lassen. Zu oft hatten sie ihn in letzter Zeit mit ihrer Schleuder erwischt. Andererseits war er gerade auf dem Weg zu Galen gewesen
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