Weiß (German Edition)

und dieses Treffen sollte er nicht noch weiter aufschieben. Wenn seine Anfälle oder wie auch immer er nennen sollte, was mit ihm passierte, tatsächlich ein Symptom der Krankheit waren, dann konnte Galen ihm vielleicht helfen, bevor er wie Aaron endete. Vielleicht war jetzt jede Minute kostbar.
    Lewin zögerte noch einen Augenblick, zuckte dann mit den Schultern und drehte sich um. Es hatte keinen Zweck, jetzt mit den Grubenbauer-Jungs zu streiten. Außerdem war es ohnehin viel zu heiß.
    Er war bereits wieder in Gedanken versunken, als ihn erneut ein spitzer Stein traf. Dieses Mal erwischte er seine Wade, und nur einen Moment später traf ihn ein weiteres Geschoss am Hinterkopf. Ruckartig drehte Lewin sich um und stürmte auf die beiden Jungs zu. Diese standen mittlerweile nicht mehr hinter der Hecke, sondern hatten bereits die Flucht ergriffen. Immer wieder drehten sie sich im Laufen um und riefen Lewin Schimpfwörter zu, die diesen noch mehr anstachelten.
    Galen würde ihm nicht weglaufen. Auf die wenigen Minuten, bis er die Jungs erreicht hatte, kam es nun nicht mehr an und diese grässlichen Missgeburten hatten eine Abreibung verdient.
    Nach fünfhundert Metern, war der Vorsprung, den die Grubenbauer-Jungs hatten, bedenklich zusammengeschmolzen. Lewin rechnete fest damit, dass sie sich jeden Augenblick trennen würden, damit er nur einen von ihnen verfolgen konnte. Aber sie taten es nicht. Stattdessen rannten sie bis zum Ende der Straße und bogen dann ab. Lewin mobilisierte noch einmal all seine Kräfte und stürzte um die Ecke. Im nächsten Augenblick donnerte er gegen eine massive Wand aus Fleisch und Muskeln.

Der Grubenbauer
    Wie Du vermutlich ahnen kannst, war der Grubenbauer der Vater der beiden Grubenbauer-Jungs und dabei nicht weniger unangenehm als seine Sprösslinge.
    Der Grubenbauer, dessen Vorname mir irgendwie abhandengekommen sein muss, war Fleischer in Weiß. Und es gibt wohl kaum einen Menschen, der so gut zu dem von ihm ausgeübten Beruf gepasst hat, wie dieser riesige Berg aus Fleisch. Der Grubenbauer war so fett, dass selbst die am stärksten gemästete Sau nicht mit ihm hätte mithalten können. Zusätzlich war er so hässlich wie die Nacht, weshalb ich niemals begreifen konnte, wie dieser Mensch es fertiggebracht hatte, zwei, beziehungsweise eventuell sogar drei, wenn man den verspeisten Zwillingsdrilling mitrechnen wollte, Kinder mit irgendjemandem zu zeugen.
    Ansonsten gibt es über den Grubenbauer nicht viel zu sagen, er war fett, hässlich und unangenehm, roch nach alten Würsten und hatte stets getrocknetes Blut unter den Fingernägeln, da er nicht viel davon hielt, bei seiner Arbeit Handschuhe zu tragen. Hygiene war nun einmal nicht unbedingt seine Stärke .

Sechs
    Der Grubenbauer legte seine fettige Hand auf Lewins Schulter. Mit Entsetzen musste dieser feststellen, dass die haarigen Finger von altem Blut ganz fleckig waren. Der Grubenbauer roch unangenehm säuerlich und Lewin spürte automatisch ein unheilvolles Klopfen in seiner Magengegend.
    „Was ist hier los?“ Die Stimme dröhnte in Lewins Ohren und er merkte, wie sich die wurstigen Finger enger um seine Schulter schlossen. Die Drohung in dieser Berührung war kaum zu übersehen und Lewin spürte, wie er zu keuchen begann.
    Der kurze Sprint hatte ihn so angestrengt, dass er nicht gemerkt hatte, wie die Grubenbauer-Jungs ihn direkt vor die Schlachterei ihres Vaters gelockt hatten. Vermutlich hockten sie jetzt in einer Ecke und lachten sich halbtot, während sie das Spektakel beobachteten.
    „Ich … nichts.“ Lewin stotterte und brach dann ab. Es hatte keinen Sinn sich zu rechtfertigen. Menschen wie der Grubenbauer hatten kein Interesse an Begründungen oder an der Wahrheit. Menschen wie der Grubenbauer lösten ihre Probleme stets auf dieselbe Art.
    „Für nichts ist hier aber ganz schön was los!“, sagte der Fleischer.
    Lewin schluckte.
    „Ich kann dich nicht leiden. Ich glaube sogar, keiner hier kann dich leiden. Und ich will, dass du dich von meinen Jungs fernhältst.“
    Lewin wagte es nicht, dem Grubenbauer in die Augen zu sehen. Er fühlte sich wie eine Maus, die von einer Katze gefangen worden war und nun zu einem hilflosen Spielball wurde. Er erinnerte sich, wie er einmal eine Katze bei diesem Todesspiel beobachtet hatte. Die Katze hatte die Maus in zwei Teile gebissen, den Leib verspeist und den Kopf anschließend liegengelassen.
    Die Pranke des Grubenbauers drückte sich noch heftiger in Lewins Schulter. Er