Weiß (German Edition)
eine ebenerdige Dusche ohne Wanne. Das Wasser floss durch einen Abfluss, der sich in der Mitte des kleinen Raumes befand. Auf dem schleimigen Gitter klebten Haare, verschiedener Farben und alte Seifenreste. Es gab einen Duschvorhang, der nur noch mit einigen Ösen an der entsprechenden Halterung befestigt war. Das untere Ende des Vorhangs war braun und voller Stockflecken . An der Toilette war keine Klobrille angebracht, Kalk und Urinstein färbten die Schüssel dunkel. Das Wasser, das in der Toilette schwamm, war braun und milchig. Es gab kein Toilettenpapier.
Lewin trat an das Waschbecken heran und drehte vorsichtig den Wasserhahn auf. Es quietschte, aber kein Wasser kam heraus. Enttäuscht warf Lewin einen Blick in den blinden Spiegel, der über dem Waschbecken hing. Er konnte sein Gesicht nicht erkennen. Ein verzogener Schatten starrte ihn aus dem Spiegel heraus an.
Lewin steckte sich die Tablette in den Mund und würgte sie trocken herunter. Dann begab er sich erneut in die Küche und öffnete den Kühlschrank. Auf einmal packte ihn ein unbezwingbarer Heißhunger und obwohl Lewin sich nicht ganz sicher war, ob nicht vielleicht einige der Lebensmittel des schönen Aarons bereits kontaminiert waren, kam er nicht umhin, sich wahllos verschiedene Wurst- und Käsescheiben in den Mund zu stopfen.
Als er mit offenem Mund kaute, merkte er, wie hungrig er war. Sein ohnehin viel zu mageres Frühstück hatte er bereits am Morgen im Laden des Rollascheks herausgewürgt und mittlerweile war es schon bald 14 Uhr und er hatte immer noch nichts im Magen. Trotzdem war es eigentlich ein Wunder, dass er überhaupt Appetit hatte – gedachte man der drohenden Gefahr und der verwahrlosten Küche.
Lewin ließ sich neben der geöffneten Kühlschranktür zu Boden sinken und schob sich laut schmatzend immer wieder etwas in den Mund. Danach spülte er das Ganze mit einem gewaltigen Schluck aus einer Milchtüte herunter, die er ebenfalls im Kühlschrank entdeckt hatte, und erhob sich dann, um zu gehen.
Im Wohnraum angekommen betrachtete er den schönen Aaron noch eine ganze Weile. Der arme Junge war nun alles andere als schön anzusehen, aber Lewin fühlte sich so gut, dass es ihm kaum etwas ausmachte. Normalerweise hätte er sicherlich spätestens aufgrund der blutig schimmernden Augen im hohen Bogen alles ausgeworfen, was er gerade voller Enthusiasmus in sich hineingestopft hatte, aber jetzt machte ihm der Anblick nichts aus.
Eigentlich geschieht es ihm recht, dass er jetzt so hässlich ist, dachte sich Lewin und machte sich auf den Weg zu seinem Arzt.
Galen und die Männer in Weiß
Der einzige Arzt, dem man in dieser durchtriebenen Stadt vertrauen konnte, hieß Galen, wobei ich nicht weiß, ob das sein richtiger Name oder nur ein geschickt gewähltes Pseudonym war.
Ich stieß ganz zufällig auf ihn, da er der einzige Arzt war, der über keinen Eintrag im örtlichen Telefonbuch, sondern nur über ein winziges Hinweisschild an seiner Tür verfügte. Er war auch der einzige Arzt, der sich in Weiß nicht auf ein medizinisches Gebiet spezialisiert hatte. Er war kein Phlebologe, kein Venerologe und kein Strabologe, sondern einfach nur ein ganz normaler Arzt, der es vermochte, einem Kranken die richtige Medizin zu verschreiben, ohne dabei irgendeinen besonderen Hokuspokus abzuziehen.
Das gefiel mir.
Und auch wenn ich in der Regel darum bemüht war, meinen Körper selbst zu therapieren, kam ich doch nicht umhin, Galen hin und wieder aufzusuchen und in bestimmten Dingen um Rat zu fragen.
Soweit ich mich erinnere, hat er mir nie eine unbefriedigende Antwort gegeben.
Vier
Lewin schwitzte und fluchte. Das Haar klebte ihm strähnig an der Stirn und das schweißnasse Shirt beengte ihn. Dieser verdammte Sommer. Diese verdammte Stadt.
Schon oft hatte er sich gewünscht, dieser trostlosen Gegend den Rücken zu kehren und abzuhauen. Einfach nur weg, ohne dass jemand wüsste, wohin er verschwunden wäre. Er würde sich unter falschem Namen in einer anderen Stadt niederlassen; noch einmal ganz von vorn beginnen und jede Erinnerung an seine Vergangenheit auslöschen. Aber er wusste, dass das nicht möglich war. Wahrscheinlich würde er nicht einmal über die Stadtgrenzen hinauskommen. Er verfügte weder über Geld noch über Erfahrungen. Lewin war noch nie außerhalb von Weiß gewesen und daran würde sich in diesem Leben vermutlich auch nichts mehr ändern.
Sein Blick wanderte hoch zum Himmel und heftete sich an das endlose Blau. Nicht
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