Weiß (German Edition)
weit unter dem Niveau der anderen Wiesel blieb, aber trotzdem hatte ich irgendwie die verrückte Idee, dass dieses Wochenende ein wenig Spaß bringen könnte.
Unsere Rucksäcke auf den Rücken geschnallt, verließen wir am Freitagmittag unsere Elternhäuser, trafen uns wie vereinbart am Waldeingang und marschierten anschließend immer tiefer in das grüne Reich der geduldigen Baumriesen. Aus irgendeinem Grund störten mich an diesem Tag nicht einmal die bescheuerten Lieder, die auf diesen Märschen immer gesungen wurden. An die meisten dieser Lieder kann ich mich heute nicht mehr erinnern, denn sowohl Texte als auch Melodien waren einfach nur grässlich , sodass ich mich jedes Mal wunderte, dass meine Ohren nicht zu bluten begannen! Nur eines von ihnen werde ich wohl nie vergessen, obwohl wir dieses spezielle Lied eigentlich nur sehr selten gesungen haben. Solltest Du jetzt die Vermutung anstellen, dass dieses eine Lied sich aufgrund eines höheren Maßes an Qualität in mein Gehirn gebrannt hat, muss ich Dich leider enttäuschen. Es war genauso schrecklich wie alle anderen. Nein, der Grund, weshalb ich dieses Lied nie vergessen habe, ist ein anderer, wie Du gleich feststellen wirst.
Zurück zum Zeltlager: Nachdem wir zwischen Büschen und Eidechsen unser Lager aufgeschlagen und unsere Dosenbohnen heruntergewürgt hatten, sollte nunmehr zum gemütlichen Teil des Abends übergegangen werden, der im Nachhinein zum schrecklichen Ausgang dieser Veranstaltung führte.
Ich hatte für die Gruselgeschichten der anderen Kinder nicht besonders viel übrig und so kam es, dass ich mich, sobald es mit dem Erzählen losging, klammheimlich verkrümelte. Ich wollte noch ein wenig im Wald herumlaufen, die Ruhe und Abwesenheit der anderen Nervensägen genießen und außerdem ein paar von diesen verrückten Bewegungen ausprobieren, die ich kurze Zeit zuvor in einem Kung-Fu-Film gesehen hatte. Da ich mich dabei natürlich nicht lächerlich machen wollte, erschien mir der nächtliche Wald als Trainingsort überaus angemessen. Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich natürlich noch nicht, was während meiner Abwesenheit Schreckliches mit den fleißigen Waldwieseln geschehen würde.
Nachdem ich mich von den Anderen abgeseilt hatte, kam irgendein krankes, hinterhältiges Monster auf die Idee, in unserem Zeltlager, in dem die wieseligen Kinder vor lauter Erschöpfung bereits in ihren Betten schnarchten, ein Feuer zu legen. Der ganze Wald roch plötzlich nach verschmortem Plastik.
Ich werde an dieser Stelle keinesfalls auf die schaurigen Details eingehen, Fakt ist nur, dass nicht alle Wiesel diesen Abente uerausflug überlebt haben. Als ich in das Lager zurückkam, waren die Glücklichen unter den Kindern bereits aus ihren Zelten geflohen und kauerten in sicherer Entfernung unter der Obhut eines äußerst aufgewühlten Mannis, der nur von Glück reden konnte, dass die meisten der Kinder unter Schock standen, sodass sie weder heulten noch schrien.
Zu meiner großen Erleichterung entdeckte ich auch Simon unter den Geretteten. Ich fiel ihm um den Hals und sagte ihm, wie sehr ich mich freute, dass ihm nichts passiert war. Er aber sah mich nur mit leeren, ausdruckslosen Augen an und befreite sich ruppig aus meiner Umarmung. Diesen komischen, ratlosen Blick hat er seitdem nie wieder ganz abgelegt.
Später erfuhr ich von einem der anderen Kinder, dass der nächtliche Feuerteufel für die Waldwiesel kein Unbekannter gewesen sein konnte. Während er die leuchtend bunten Zelte der Kinder zu schwarzen, verkohlten Klumpen zusammenschmelzen ließ, hatte er eines ihrer Lieder gegrölt. Dieses Lied wurde anschließend nie wieder von einem Kind in Weiß gesungen, aber ich werde Dir den Text trotzdem mitteilen, denn es ist nunmal das einzige Waldwiesellied, an das ich mich erinnern kann:
Häng das Fähnlein in den Wind
halt die Karte in der Hand
das versteht doch jedes Kind
gerät außer Rand und Band
jetzt geht’s rein in die Natur
dort entdecken wir Leben pur
Sieben
Hastig blickte Lewin sich nach allen Seiten um. Der Anblick von Kneifs feuerrotem Haar hatte ihn in Alarmbereitschaft versetzt. Wenn Kneif sich hier im Wald herumtrieb, war es gut möglich, dass einer von den Anderen sich ebenfalls hier aufhielt.
Das dichte, grüne Dickicht versperrte Lewin zwar die Sicht, aber nach kurzer Zeit war er sich trotzdem sicher, dass er allein mit Kneif war. Er konnte die Anderen weder sehen noch hören. Und Kneif hatte sich offensichtlich mal wieder
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