Weiß (German Edition)
war beinahe leer. Rikko stand wie immer hinter der Bar und unterhielt sich mit seinen Gläsern. Nur am hinteren Ende des Tresens saßen zwei Gestalten, die in ein unhörbares Gespräch miteinander vertieft waren. Es war noch zu früh.
Lewin wandte sich um, um Lydia seine Erkenntnis mitzuteilen, aber die hatte sich bereits ans andere Ende des Raumes, dicht vor die Bühne begeben und bewegte ihren Körper rhythmisch zur schlechten Rockmusik. Lewin starrte sie entgeistert an. Nach allem, was sie ihm soeben erzählt hatte, hätte er von ihr jedes Verhalten erwartet, nur nicht dieses. Dieses Tanzen war so gewöhnlich. So banal. Und so anziehend.
Die Augen nicht von ihr abwendend ging Lewin zur Theke und bestellte bei Rikko zwei Bier. Lydia hatte Recht. Sie mussten ohnehin abwarten und konnten sich diese Zeit genauso gut mit etwas Angenehmen vertreiben. Lewin starrte das tanzende Mädchen an, dessen Körper sich ekstatisch und graziös wie eine Schlange bewegte. Sie stand allein vor der Bühne und schien sich mit ihren Bewegungen in der Musik aufzulösen. Ihre kreisenden Hüften hypnotisierten Lewin und er fühlte wieder diese dumpfe Zufriedenheit. Hatte er vorhin wirklich noch Zweifel an ihrer Aufrichtigkeit gehabt?
Unverhofft drehte Lydia sich nun um und kam mit großen, federnden Bewegungen auf Lewin zu. Auf ihren Lippen lag ein verführerisches Lächeln und er spürte, wie ihm die Hitze in den Kopf stieg. Ihre langen Finger nahmen ihm die Bierflaschen aus der Hand und stellten sie hinter ihn auf den Tresen. Ohne zu zögern schlang sie ihre Arme um seinen Hals, presste sich heftig an ihn und legte ihre Lippen auf die seinen.
Lewin stockte der Atem. Er riss die Augen vor Überraschung weit auf und ließ sich dann in ihre Umarmung fallen. Er hatte das Gefühl, die Zeit würde stillstehen. Die Welt um ihn herum verschwamm. Seine Knie wurden weich und er konnte sich kaum auf den Beinen halten. Er hörte sein eigenes Blut in den Ohren rauschen und unter seinen Schulterblättern begann es zu kitzeln.
Dann war es auf einmal vorbei und Lydia griff um ihn herum nach den Bierflaschen. Sie drückte ihm eine in die Hand und lächelte herausfordernd. Ihre Lippen formten Worte, die Lewin nicht verstehen konnte, da das Blut so laut in seinen Ohren pochte, dass alle anderen Geräusche ausgeblendet wurden. Er hatte noch immer Probleme mit dem Gleichgewicht und aus Angst, dass ihm der Boden tatsächlich unter den Füßen wegrutschen würde, ließ er sich gegen den Tresen sinken.
Lydia musterte ihn, lächelte dann und ergriff seine Hand. Sie zog ihn auf die Tanzfläche und flüsterte ihm ins Ohr: „Schließ deine Augen.“
Lewin tat, was sie ihm gesagt hatte und stürzte in den Moment. Er war kein großer Tänzer, aber mit ihrem Körper an seiner Seite, brachte er sich dazu, mit ihren Bewegungen mitzuhalten. Es fühlte sich nicht wie tanzen an, sondern mehr wie schwimmen. Seine Glieder waren plötzlich leicht wie Federn, die nichts anderes wollten, als fröhlich durch die Luft zu wirbeln. Die Musik erfüllte seinen Kopf, dröhnte in seinen Ohren und vibrierte in jedem Muskel seines Körpers. Sie klang jetzt nicht mehr so scheußlich wie noch vor wenigen Minuten. Er spürte Lydias warme Haut auf der seinen und gab sich dann dem Rausch des Tanzes hin. Alles andere musste jetzt warten.
Der Bärenmann Harald
Harald war der Beweis dafür, dass stille Wasser in der Regel wirklich einfach nur still sind. Harald redete selten. Ich glaube, er fürchtete sich vor seiner eigenen Stimme. Sie war tief und dröhnend und wenn man sie vernahm, hatte man immer das Gefühl als führe einem ihre Vibration direkt in den eigenen Körper. Manchmal habe ich mich gefragt, wie sich das wohl für Harald selbst angefühlt haben muss. Vielleicht hat sich das Dröhnen durch jede Vene seines Körpers gehämmert, sodass sein Kopf kurz davor war zu zerspringen – möglich wäre das. Vermutlich hat er es deshalb aufgegeben, zu sprechen, beziehungsweise angefangen, sich dabei auf das Nötigste zu beschränken.
Man kann nicht sagen, dass Haralds Stimme nicht zu Harald gepasst hätte, denn Harald war ein Bär von einem Mann. Ich schätze ihn auf ungefähr 1,95m und 140 Kilogramm, wobei das meiste davon vermutlich Muskelmasse war. Allerdings darf man sich Harald nicht wie so einen eiweißsüchtigen Muskelprotz mit Goldkettchen und Achselshirt vorstellen, sondern viel kompakter und ansehnlicher.
Größe und Gewicht waren außerdem nicht die einzigen Details, die
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