Weiß (German Edition)
folgen würde. Langsam krempelte Harald sich die Ärmel seines Hemdes hoch und murmelte währenddessen weiter unverständliches Zeug in seinen Bart. Er machte sich nicht einmal die Mühe, Lewin zu erklären, was er mit ihm vorhatte. Das war auch nicht nötig.
Lewin wusste genau, was hier passierte. Er hatte eine Grenze überschritten, als er in den Bus gekommen war. Dieser Laden gehörte Simon und den Anderen. Er selbst hatte hier nichts zu suchen, es sei denn, er wollte eine ordentliche Tracht Prügel beziehen. Offenbar war Harald bisher der einzige aus der Truppe, der sich hier eingefunden hatte und scheinbar hatte er sich bei Lewins Anblick überlegt, dass er sich des Problems auch allein annehmen könnte. Sicherlich wollte er Simon dadurch den Abend retten, denn dieser bekäme eine Stinkwut, wenn er Lewin hier erblickte. Normalerweise wäre das für den riesigen Harald auch kein Problem gewesen. Doch aufgrund der Ereignisse des heutigen Tages würde der arme Kerl erkennen müssen, dass sogar seine Kräfte ihre Grenzen hatten.
Lewin hielt kurz den Atem an und fühlte, wie in seinen Eingeweiden das neuerdings so geschätzte Feuer loderte. Auch wenn er bisher noch nicht viel Erfahrung mit der kontrollierten Entfachung dieser Kraft hatte, war Lewin sich sicher, dass er damit keine Probleme haben würde. Vielleicht würde er Harald den ein oder anderen Schlag gönnen, nur um das Ganze noch reizvoller zu gestalten.
Während er diesem Gedanken noch nachhing, traf ihn plötzlich Haralds schaufelähnliche Faust hart ins Gesicht und Lewins Kopf flog in den Nacken.
Auch wenn er auf den Schlag vorbereitet gewesen war, überraschte ihn der Schmerz. Seine neu erlang ten Fähigkeiten machten ihn offenbar nicht immun gegen körperliches Leid. Der nächste Schlag traf ihn in der empfindlichen Magengegend und Lewin krümmte sich vor Schmerz. Es war keine gute Idee gewesen, Harald aus Mitleid ein paar Schläge zu gönnen.
Bevor Lewin sich versah, donnerte Haralds Faust erneut in sein Gesicht und er spürte, wie eine warme Flüssigkeit aus seiner Nase zu tropfen begann. Schon wieder die Nase , dachte er, hatte aber keine Zeit, noch einen anderen Gedanken zu fassen, da Harald ihm bereits nachsetzte und ihn mit den flachen Händen gegen die Brust schlug. Seine Rippen knirschten und er hörte wie ihm pfeifend die Luft aus den Lungen wich. Lewin torkelte rückwärts und stieß gegen ein geparktes Fahrzeug. Das nasse Metall fühlte sich angenehm kühl auf seiner Haut an.
Wie auf ein Stichwort fühlte Lewin nun das Lodern in sich, das sich brennend in seinem ganzen Körper ausbreitete. Er suchte mit seinen Füßen nach einem sicheren Stand und schaute Harald herausfordernd an. Dann ließ er die kleinen Ameisen über sich fluten, breitete die Arme aus und stieß einen schrillen Schrei in die Nacht.
Harald trat erschrocken zwei Schritte zurück und betrachtete ihn mit zusammengekniffenen Augen. Er schien unsicher, ob er einen weiteren Schlag platzieren sollte. Auf Lewins Gesicht breitete sich ein hämisches Grinsen aus. Im nächsten Augenblick spürte er, dass die Wut in ihm jetzt stark genug war.
Er zwinkerte dem nunmehr eingeschüchtert wirkenden Harald neckisch zu, legte den Kopf in den Nacken und schrie erneut in den Sternenhimmel, dieses Mal aber länger, härter und kraftvoller. Bereits nach kürzester Zeit bremste er sich und hörte auf zu schreien. Er wusste, dass er heute Nacht noch viel vorhatte und er wollte sich nicht bereits am Anfang zu schnell verausgaben.
Harald war nur ein kleiner Fisch, ein Handlanger, der schnell zu beseitigen war. Simon und die Anderen würden mit Sicherheit erst zu späterer Stunde auftauchen. Bis dahin wollte er tanzen. Mit Lydia, ihren Leib an seinen gepresst.
Mit einem kleinen Hüpfer sprang Lewin über Harald hinweg, dessen Kleidung sich langsam mit schmutzigem Regenwasser vollsaugte. Aus seinem linken Auge lief eine einzige weiße Träne, die sich rasch mit dem Regen vermischte und sich anschließend darin auflöste.
Fünf
Zurück im Bus fühlte Lewin sich so stark wie nie zuvor. Sein ganzer Körper strotzte nur so vor Energie und er spürte in sich ein Pulsieren, dass ihm ein selbstsicheres Lächeln ins Gesicht zauberte. Er schritt geradewegs auf Lydia zu, schlang seinen Arm um ihre Hüften und küsste sie. Ihr Kuss zog ihn in einen heftigen Strudel aus Farben und Licht und bereits eine Sekunde später verwandelte sich seine Umarmung eher in eine Umklammerung, ohne die er vermutlich
Weitere Kostenlose Bücher