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Weiß wie Milch, rot wie Blut - D'Avenia, A: Weiß wie Milch, rot wie Blut - Bianca come il latte, rossa come il sangue

Weiß wie Milch, rot wie Blut - D'Avenia, A: Weiß wie Milch, rot wie Blut - Bianca come il latte, rossa come il sangue

Titel: Weiß wie Milch, rot wie Blut - D'Avenia, A: Weiß wie Milch, rot wie Blut - Bianca come il latte, rossa come il sangue Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alessandro D'Avenia
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das Hirn nicht den Befehl zum Küssen gibt.
    Elisas Lied verklingt.
    »So, jetzt musst du die Saite gegen den Gitarrenhals drücken, der Daumen hält von hinten fest, und mit der Rechten zupfst du.«
    Beatrice presst angestrengt die Lippen zusammen, um der Gitarre einen matten Ton abzuringen, der das nunmehr leere Zimmer erfüllt und genauso matt ist wie ihr kraftloser Körper. Ihr Körper, der die Welt mit ungekannter Harmonie erfüllen sollte, mit einer grenzenlosen Symphonie, bringt nichts weiter heraus als einen schrägen Ton. Ich lege meine Hand über die ihre und drücke sanft mit dem Finger darauf. Unsere Hände legen sich übereinander wie bei einem Kindergebet.
    »So.«
    Und die Saite beginnt zu schwingen.
    Mein Körper ermöglicht ihrem, Musik zu machen.
    Beatrice lächelt mich an, als hätte ich ihr einen seit Jahrtausenden verborgenen Schatz offenbart, und dabei habe ich ihr nur gezeigt, wie man eine Saite zupft.
    Ungeduldig reicht sie mir die Gitarre.
    »Zeig mir, wie du’s machst, dann lerne ich es schneller.«
    Ich nehme die Gitarre, sie rückt ein wenig ab und schlingt die Arme um die Knie.
    Ich fange an, die Akkorde des Elisa-Liedes zu spielen. Beatrice schließt die Augen, als suchte sie nach etwas Verlorenem.
    »Wieso singst du nicht?«, fragt sie.
    »Weil ich den Text nicht kenne«, antworte ich hastig, aber in Wirklichkeit traue ich mich nicht, aus Angst, die Töne nicht zu treffen.
    Mit geschlossenen Augen öffnet Beatrice leicht die Lippen, ein schwacher Ton löst sich von ihren Stimmbändern wie ein frisch hervorbrechender Quell.
    E miracolosamente
    non riesco a non sperare.
    E se c’è un segreto
    è fare tutto come se
    vedessi solo il sole …
    Wundersamerweise
    kann ich nicht aufhören zu hoffen.
    Und wenn es ein Geheimnis gibt,
    dann ist es, alles so zu tun,
    als sähe ich nur die Sonne …
    Meine Finger verschmelzen mit ihrer Stimme, die darüber hinläuft, als wären sie das Bett für den Flusslauf ihres Gesangs. Er erfüllt jeden noch so dunklen Winkel des Zimmers, strömt aus dem Fenster, schwebt durch die schlafende Stadt, die in ihrem ewiggleichen, grauen Trott gefangen ist, nimmt den Kanten des Alltags ihre Schärfe und löst die in Schmerz und Erschöpfung verkrampften Kiefer.
    Un segreto è
    fare tutto come se,
    fare tutto come se
    vedessi solo il sole,
    vedessi solo il sole,
    vedessi solo il sole …
    E non qualcosa che non c’è …
    Ein Geheimnis ist,
    alles so zu tun,
    als sähe ich nur die Sonne
    und nicht etwas, das nicht da ist …
    Ich begleite die letzten Worte mit einem abschließenden Arpeggio.
    Wir sitzen da, in die Stille des verklungenen Liedes gehüllt, ein doppeltes, ins Quadrat erhobenes Schweigen, in dem das Echo der Worte widerhallt wie ein Schlaflied, das die nichtigen Sorgen eingelullt und das, was wirklich zählt, geweckt hat.
    Beatrice öffnet die Augen und lächelt: Das Grün ihrer Augen und das Rot ihres im Licht ihres Lächelns schimmernden Haares sind die Farben, mit denen die Welt gemalt ist.
    Dann weint sie, lächelnd unter Tränen.
    Ich sehe sie reglos an und frage mich, wieso Schmerz und Freude auf dieselbe Art weinen.

M anchmal sind die Nachmittage, die ich mit Silvia lerne, das einzige Gegenmittel gegen das Gift der Traurigkeit. Wir lernen, und hin und wieder bringt uns ein Vers von Dante oder das Zitat eines Philosophen ganz weit weg. Ich erzähle ihr von meinen Besuchen bei Beatrice. Ich schildere ihr jedes Wort und fühle mich besser: Die Treffen mit Beatrice liegen mir wie ein Stein im Magen. Doch Steine kann man nicht verdauen. Irgendwie sind die Gespräche mit Silvia das Enzym, das es zum Verdauen dieser Brocken braucht. Sie hört aufmerksam zu und sagt nichts. Ihr Schweigen genügt. Einmal allerdings hat sie mich gefragt:
    »Willst du, dass wir für sie beten?«
    Ich vertraue Silvia, und wenn sie meint, dass das was nützt, mache ich’s. Also sprechen wir hin und wieder ein Gebet. Ich glaube zwar nicht dran, aber Silvia schon. Und das ist unser Gebet zu Beatrices Heilung:
    »Gott ( wenn es dich gibt – füge ich heimlich hinzu), mach Beatrice gesund.«
    Kein besonders dolles Gebet, aber das Wichtigste ist drin. Und wenn Gott Gott ist, braucht er nicht viele Worte. Wenn es Gott nicht gibt, sind diese Worte für die Katz; aber wenn es ihn gibt, wacht er vielleicht aus seinem Jahrtausendschlaf auf und macht einmal was Vernünftiges. Das habe ich Silvia nie gesagt, um sie nicht vor den Kopf zu stoßen, aber so sehe ich die Sache.

B

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