Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
selbstverständlich nahm. Auf der Stelle verzieh sie dem jüngeren Grafensohn, nicht Johann zu sein, und räumte ihm bereitwillig einen Platz in ihrem Herzen ein. Sie wünschte eine gute Nacht, knickste kurz und zog sich diskret zurück, so den Gast dem Schlaf überlassend.
Hermann Stein konnte nicht an Schlaf denken, aufgeschreckt und zutiefst beunruhigt lief er in seinem Arbeitszimmer auf und ab. Die einzige Kerze, die noch im Leuchter brannte, flackerte jedes Mal, wenn sein Hin und Her die abgestandene Luft in Bewegung brachte. Von Tagwerk und Grübelei erschöpft warf er sich auf einen Stuhl, der unter der plötzlichen Belastung ächzte. Stein stützte die Ellenbogen auf den Schreibtisch und fuhr sich mit den Fingern durch das ergraute Haar. Sein Blick fiel auf die säuberlich eingetragenen Zahlen der Bücher – und für einen winzigen Moment zog er Manipulation in Betracht, doch gleich darauf erschrak er über seine Gedanken.
Bevor Stein mit der Verwaltung des Rittergutes Hohen-Lützow betraut worden war, hatte er viele Jahre Güter in ähnlichen Größenordnungen geführt, und zwar sehr erfolgreich. Er hatte sogar vorgehabt, zu heiraten und ein eigenes Anwesen zu erwerben oder eine Pacht anzutreten. Doch die damalige Konjunktur hatte nicht nur die Getreidepreise, sondern auch die Preise für Landgüter und Pachten in die Höhe schnellen lassen. Stein hatte sich an den windigen Spekulationen mit der Ware Landgut nicht beteiligt, obwohl es für ihn ein Leichtes gewesen wäre, ein Gut mit geborgtem Gelde zu erwerben. Wie vernünftig sein damaliger Verzicht gewesen war, sollte sich in den kommenden Jahren erweisen. Vor einem guten Jahrzehnt bereiteten Napoleons Eroberungsfeldzüge und einige aufeinanderfolgende schlechte Ernten der Konjunktur ein jähes Ende.
Aber es hatte auch das verlockende Angebot des Grafen Klotz gegeben. Dem erfolgreichen und viel umworbenen Landwirt Hermann Stein war die Verwaltung von Hohen-Lützow angeboten worden. Nicht nur die Vergütung, die ihm damals äußert großzügig erschienen war, hatte ihn bewogen, die Verwaltung des Klotz’schen Besitzes zu übernehmen, vielmehr war es der gräfliche Pferdezuchtbestand gewesen. Stein liebte Pferde über alles! Gewiss, der Graf hatte Stein bei der Einführung in dessen neues Dienstverhältnis einige wichtige Details über die finanzielle Situation des Gutes verschwiegen, doch Stein war zuversichtlich gewesen, es profitabel zu machen.
Sein erstes Jahr, das war 1805 gewesen, sollte jedoch für Ernüchterung sorgen. Die Ernte fiel schlecht aus. Die Kapitalgeber des Grafen, zumeist wohlhabende Ausländer, die vor den Auswüchsen der Französischen Revolution geflohen waren und in Hamburg eine neue Heimat gefunden hatten, kündigten ihre zu niedrigen Zinsen verliehenen Gelder. Der fern geglaubte Krieg konnte jederzeit losbrechen, und im Lande Mecklenburg wurde das gute schwere Geld knapp.
Die Erinnerung an jenen unseligen Tag war immer noch bitter: Der Graf hatte seinen neuen Verwalter in der allgemeinen Fröhlichkeit des Erntedankfestes beiseite genommen und beiläufig verlangt, die Pferde abzustoßen.
Der Schock saß tief. Hatte Stein anfangs noch gehofft, der Graf habe nur laut gedacht oder übermäßiger Alkoholkonsum habe dessen Sinne vernebelt, so belehrten ihn die folgenden Tage eines Besseren. Der Graf entnahm die Rücklagen des Gutes fast vollständig, der Verkauf der Getreideüberschüsse brachte nicht genug ein, um die steigenden Zinsen und einen erklecklichen Betrag für den Lebensstil der gräflichen Familie abzudecken. So wurde Stein gezwungen, wertvolle Zuchttiere zu verkaufen. Jedoch im Nachhinein musste er dem Grafen einen gewissen sechsten Sinn bescheinigen. Die Pferde konnten wegen der gesamtpolitischen Lage zu Höchstpreisen verkauft werden, so dass sich die finanzielle Situation des Gutes entspannte. Nicht auszudenken, wenn die Tiere in den folgenden Kriegsjahren ohne Entschädigung requiriert worden wären.
Damals stand Hermann Stein kurz davor, die Stelle aufzugeben, doch er ahnte, der Graf sei imstande, ihm ein schlechtes Zeugnis auszustellen. Es hätte seinen Dienstherrn ein Schulterzucken gekostet, unter der Ritterschaft Gerüchte zu verbreiten, die Steins untadeligen Ruf bis in alle Ewigkeit ruiniert hätten. Steins Vorgänger hatte ein solches „Schicksal“ ereilt und hätte den „Neuen“ für Graf Klotz’ Methoden sensibilisieren müssen, doch die Verlockung, einen wertvollen Pferdezuchtbestand
Weitere Kostenlose Bücher