Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Weiße Nächte, weites Land

Weiße Nächte, weites Land

Titel: Weiße Nächte, weites Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Sahler
Vom Netzwerk:
einziges Mal. Das reichte, um schwanger zu werden.
    Aber Matthias blieb stur. Welche Tricks Christina auch anwandte, so heiß sie ihn küsste, so begehrlich sie ihn berührte – er wies sie ab und drohte ihr am Ende sogar an, wieder nach oben zu verschwinden, wenn sie nicht mit diesen Mätzchen aufhörte.
    »Was bist du für ein Mann!«, fauchte sie schließlich. »Magst wohl keine Frauenkörper, wie? Willst du dich vielleicht zu den Matrosen in die Schlafkojen schleichen?«
    Matthias lächelte undurchdringlich. »Nimm’s nicht tragisch, Christina! Eine Niederlage sollte eine Frau wie du verkraften, ohne gleich zur Furie zu werden, oder? Schlaf einfach drüber, und sieh zu, dass du wieder auf die Beine kommst. Ich gehe so lange an Deck.«
    Damit erhob er sich und ließ sie allein zurück.
    Mit blitzenden Augen sah sie ihm nach und knirschte mit den Zähnen. Dann warf sie sich herum, grub das Gesicht in ihr Bündel, das ihr als Kissen diente, und hieb mit den Fäusten darauf ein. So ein Versager! Ausgerechnet ihn hatte sie sich als Ehemann ausgesucht. Was für eine Katastrophe – was für ein entsetzlicher Fehler …

13. Kapitel
    D as Heulen und Fluchen unter Deck nahm kein Ende, als die See rauher wurde, haushohe Wogen gegen den Schiffsbug klatschten und immer wieder ein Schwall Salzwasser durch die Luke in den Schlafraum gespült wurde.
    Die meisten blieben auf ihren Decken, zusammengekauert, wimmernd und verängstigt. Lippen bewegten sich im stummen Gebet, der Herrgott möge dieser Höllenfahrt endlich ein Ende bereiten.
    Immer mal wieder steckte einer der Matrosen den Kopf durch die Luke, verzog ob des unerträglichen Gestanks das Gesicht, tröstete die Auswanderer jedoch: Es bestehe nicht die geringste Gefahr, der Wind habe zwar aufgefrischt, aber wenn er beständig bleibe, würden sie bald glücklich in Sankt Petersburg einlaufen.
    Glücklich? Nicht alle. Unter Deck war ein Fieber ausgebrochen, das innerhalb kürzester Zeit mehrere alte Leute, aber auch Kinder dahinraffte, deren Leichnam nach Seefahrerart über die Reling gehievt wurde, wo er in den Tiefen des Meeres sein schwarzes, nasses Grab fand.
    Manch einer kratzte sich, von Ungeziefer geplagt, die Kopfhaut blutig. Andere husteten sich schier die Lunge aus dem Leib.
    Marliese Röhrich zitterte am ganzen Körper. Kalter Schweiß perlte auf ihrer Stirn, die Zähne klapperten aufeinander. Mit fahrigen Händen griff sie wie eine Verdurstende nach dem Becher, den Bernhard ihr mit zusammengekniffenen Lippen reichte. Sie und ihr Sohn wussten, dass es nicht das tödliche Fieber war, das sie zum Wrack verkommen ließ. Sie trank den Fusel mit drei langen Schlucken und ließ sich seufzend wieder auf die Decke fallen, ein kaum merkliches Lächeln auf den blutleeren Lippen.
    Bernhard trocknete ihr mit einem Tuch die Stirn. »Besser?«
    Marliese nickte. »Du bist ein guter Junge.«
    Bernhard blickte zu seiner Schwester Helmine, die mit angewinkelten Beinen an der Holzwand lehnte, den Kopf zwischen den Knien. Den meisten verursachte allein der hohe Wellengang Erbrechen, aber seine Mutter litt noch viel stärker, wenn sie nicht ihre tägliche Ration Schnaps bekam. Bernhard wusste, dass sie wochenlang auf Zwieback und Würste, auf jegliche feste Nahrung verzichten würde, wenn sie nur den Branntwein bekam.
    Bernhard überließ ihr seine eigene Ration, doch er fragte sich, wie es enden sollte, wenn die Vorräte an Bord zur Neige gingen. Alles lief darauf hinaus, dass Marliese jämmerlich verrecken würde, wenn sie auf den Schnaps verzichten musste.
    Bernhard trat der Schweiß aus den Poren, als er sie betrachtete. Sie lag nun auf dem Rücken, die Augen geschlossen, das Gesicht teigig, aber entspannt.
    Er sah auf, als Franz Lorenz auf das Lager zutorkelte. Das Schiff schwankte und bebte. Franz musste sich mal links, mal rechts an der Wand oder einem Holzbalken abstützen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Das Gesicht des Knechts war weiß wie ein Laken, aber Bernhard erkannte an der Panik in seinen Zügen, dass es nicht die Seekrankheit allein war, die ihn aus der Fassung brachte. Franz ließ sich neben seine Frau Anja fallen und holte zitterig Luft, bevor er sich bekreuzigte. Mit der Zungenspitze befeuchtete er die aufgesprungenen Lippen, als er zu sprechen begann: »Die Bornholmer sind schuld. Sie haben den Sturm herbeigezaubert. Sie wollen, dass wir stranden, um unser Schiff ausrauben zu können … Seht nach draußen! Wie verhext liegt die Insel im

Weitere Kostenlose Bücher