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Weiße Nächte, weites Land

Weiße Nächte, weites Land

Titel: Weiße Nächte, weites Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Sahler
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Meer …«
    »Was redest du für einen Schwachsinn!«, fuhr ihn Anja an, und Bernhard musste grinsen. Sie war völlig unbeeindruckt vom Schrecken ihres Mannes.
    »Die Matrosen haben es erzählt«, beharrte Franz. »Auf der Insel leben Hexenmeister, die nur darauf warten, dass Schiffe in ihre Nähe kommen, die sie verunglücken lassen können.«
    »Da haben sie dir einen schönen Bären aufgebunden«, erwiderte Anja. »Wie dumm bist du eigentlich?«
    »Und selbst wenn es stimmt, dass auf Bornholm Hexenmeister leben«, mischte sich nun Bernhard ein, wobei er ein Auge zukniff, »warum sollten sie es ausgerechnet auf ein Kolonistenschiff mit einem Haufen erbärmlicher Gestalten ohne Hab und Gut abgesehen haben? Bei uns ist nichts zu holen …«
    Anja schenkte ihm ein flüchtiges Lächeln, bevor sie die Kapuze überzog und sich wieder auf ihr Lager bettete, ihrem Gatten den Rücken zugewandt.
    Franz fuhr sich mit allen zehn Fingern durch die drahtigen Haare und stützte die Stirn auf die angewinkelten Knie. In dieser Haltung blieb er auch, als die nächste Welle das Schiff hob und das Geschrei anschwoll. Es sah aus, als hätte er sich mit seinem Schicksal, an den Bornholmer Strand gespült zu werden, bereits abgefunden.
    Bernhard schloss die Augen und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Holzplanken. Als er wenig später erwachte, war der Spuk vorbei. Das Schiff glitt nun über ruhige See, die Menschen unter Deck hatten sich aufgesetzt und bereiteten ihre Mahlzeiten vor, einige versuchten, notdürftig den überall herumliegenden Unrat zusammenzusuchen und über die Luke nach draußen zu befördern.
    Da sprang ein Matrose herunter, ein breitschultriger, bärtiger Geselle, der grinsend sein schadhaftes Gebiss präsentierte. Er schüttelte eine Henkelbüchse und rief freudig: »Wir haben es geschafft! Bornholm liegt hinter uns – die Hexenmeister können uns nichts mehr anhaben. Alle unter euch, die keinen Wert auf die Schiffstaufe legen, werden nun angehalten, ein Trinkgeld für das Schiffsvolk zu geben.« Er reichte die Büchse dem Nächsten, der ihm zu Füßen hockte, und tippte zum Gruß mit dem Zeigefinger an die Schläfe, bevor er sich wieder an Deck schwang.
    Der Erste war Anton von Kersen, der sogleich einen Schilling aus seiner Brusttasche fischte und in die Büchse steckte. Er reichte sie weiter und nickte auffordernd.
    Ein Raunen ging durch die Reihen. Diejenigen, die wussten, was eine Schiffstaufe war, schockierten die Unwissenden mit ihrer Erklärung: Dabei werde der Täufling auf einem an einem Seil befestigten Knüppel ins Wasser gelassen.
    Es dauerte nicht lange, bis sich die Büchse füllte und man sie mit zwei Händen packen musste, um das Gewicht der Münzen zu halten.
    Bernhard wusste genau wie Anja, dass die Matrosen Späße mit den unerfahrenen, ängstlichen Reisenden trieben, aber er schwieg, um nicht zusätzlich für Unruhe zu sorgen. Allerdings verzichteten er und Anja darauf, einen Obolus zu entrichten. Das Handgeld brauchten sie für wichtigere Dinge als für solchen Schabernack.
    Wenn sie nur endlich in Sankt Petersburg ankämen … Irgendwann musste diese Qual doch ein Ende finden.
    Doch die Leidensfähigkeit der Menschen an Bord wurde auf eine harte Probe gestellt. Gewöhnlich fuhr man von Lübeck nach Kronstadt nicht länger als zehn bis zwölf Tage.
    Nach zwei Wochen breitete sich Unruhe aus. Die Matrosen erklärten barsch, widrige Winde gestatteten keine schnellere Fahrt.
    Vorsteher Anton von Kersen baute sich inmitten des Schlaflagers auf und hämmerte mit seinem Stock auf die Planken, als das Maulen immer lauter wurde und Einzelne sich zusammenhockten, um sich gegenseitig aufzuhetzen und die ärgsten Vermutungen über die Verzögerung auszutauschen. »Verhaltet euch ruhig und wartet ab!«, rief von Kersen mit erhobenem Kopf. »Gegen ungünstige Winde kommt kein Kapitän an – mit einem Aufstand verschlimmert ihr die Lage nur!«
    Die Unzufriedenen tuschelten aufgebracht. Von einem Vorsteher erwarteten sie anderes als Parteinahme für den Falschen.
    »Ich hab’ gesehen, dass der Kapitän nachts die Segel einholen lässt«, sagte Matthias leise zu Bernhard und Anja.
    »Warum sollte er das tun?«, flüsterte Anja zurück.
    Matthias hob die Schultern. »Ich habe mir nichts weiter dabei gedacht. Ich kenne mich mit der Schifffahrt nicht aus.«
    Bernhard nickte grimmig. »Das bedeutet, dass der Kapitän tatsächlich die Fahrt unnötig verlängert. Einen anderen Grund, die Segel einzuholen,

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