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Weiße Nächte, weites Land

Weiße Nächte, weites Land

Titel: Weiße Nächte, weites Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Sahler
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gelegt, die beiden tuschelten miteinander. Christina lag auf der Seite, ihre Gesichtsfarbe hatte einen Stich ins Grünliche. Sie stöhnte leise.
    Kein Wunder, dass die Matrosen nicht ganze Gruppen nach oben ließen, die sie bei der Verrichtung ihrer Arbeit an Deck behindern mochten. Aber Einzelne, die sich nach Frischluft sehnten, würden sie gewiss nicht abweisen. Eleonora nahm sich vor zu warten, bis die Nacht hereingebrochen war und die meisten schlafen würden.

    Der Raum lag in tiefer Dunkelheit, als sich Eleonora nach wenigen Stunden Schlaf aufrichtete. Ihre Glieder waren taub. Als das Blut in ihnen zirkulierte, fühlte es sich an wie Ungeziefer auf der Haut.
    Sophia lag geborgen in Klaras Armen. Die Luft war inzwischen zum Schneiden dick. Das beständige Knarren des Schiffes und das Schwappen der Wellen gegen den Rumpf mischten sich mit dem lauten Schnarchen der Männer, dem Seufzen, Flüstern und Kichern mancher Paare. Die Seekranken jammerten im Halbschlaf; ein Säugling schrie, eine Mutter summte ein Schlaflied. Manch einer wimmerte unter der Last von Träumen.
    Eleonora strich ihre Röcke glatt, wickelte sich das Schultertuch um Kopf und Brust und balancierte auf Zehenspitzen zwischen den zerlumpten, schmutzigen Gestalten hindurch.
    Leise stieg sie die Holztreppe zur Luke hinauf, schob diese auf und zwängte sich hindurch. Sie stemmte die Hände auf die Dielen und zog sich mit zusammengebissenen Zähnen an Deck. Ah, frischer Nachtwind, salzig, kühl, meeresfeucht …
    Sie schaute sich um – war sie ganz allein an Deck? Im Steuerhaus unterhielten sich zwei Matrosen, die sie nicht beachteten. Sie trat an die Reling, schaute hinauf in den von Sternen übersäten Nachthimmel. Der Vollmond warf ein kaltes Licht auf das wogende Wasser und die geblähten Segel des Schiffes. Wohin sie den Blick wandte – nichts als das Meer. Eleonora schauderte. Abgeschnitten vom Vaterland, auf dem Weg in eine ungewisse Zukunft …
    Würden sie in dem großen Reich wirklich das Glück finden? Wartete eine bessere Zukunft auf Sophia? Wie würden die Russen sie empfangen? Welchen Stand würden sie als Kolonisten haben?
    Es gab viele Unwägbarkeiten … Aber es gab auch kein Zurück mehr. Das Schiff hatte Kurs auf Sankt Petersburg genommen.
    Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, als ihr in den Sinn kam, dass ihre Abweisung Franz veranlasst hatte, Anja Eyring zur Frau zu nehmen.
    Was für ein seltsames Paar die beiden abgaben.
    Es bereitete Eleonora ein diebisches Vergnügen, die beiden zu beobachten, wie unversöhnlich Anja sich Franz gegenüber verhielt, wie er um ihre Aufmerksamkeit buhlte. Sie wusste nicht, warum es diese Spannungen zwischen den beiden gab, aber es traf sicher nicht den Falschen, wenn eine Frau den Franz zurechtstutzte.
    Wolkenfetzen zogen vor den Mond und verdunkelten die Meeresoberfläche. Die Wellen schlugen im ruhigen Takt gegen den Schiffsrumpf.
    Ein Schatten flog über Eleonoras Gesicht, als sie an ihre Schwester und Matthias dachte.
    Nun war er also ihr Schwager.
    Sie mochte es, wie sich seine Pupillen weiteten, wann immer er ihr in die Augen schaute.
    Wie lange würde es dauern, bis Christina mit ihrem unermüdlichen Kokettieren Erfolg hatte? Kaum dass er mal eine Miene verzog, wenn sie sich bei ihm einhakte, ihn beschwingt auf die Wange küsste …
    Was mochte in ihm vorgehen? Hatte er es bereut, sich auf den Handel eingelassen zu haben? Oder war es ihm am Ende egal, welche Frau zu ihm gehörte?
    »He, Eleonora …«
    Als sie das Flüstern hinter sich hörte, wirbelte sie herum. Sie brauchte eine Weile, bis sie erkannte, dass jemand unter dem Verdeck bei der Ankerwinde hockte. Sie trat näher und … unterdrückte einen Schrei.
    Da saß er mit angewinkelten Beinen und locker um die Knie geschlungenen Armen auf den Planken neben zusammengerollten armdicken Tauen: Matthias. Hatte er sie die ganze Zeit beobachtet?
    Ein zaghaftes Lächeln, das kein Echo auf seinem ebenmäßigen Gesicht fand. »Da hattest du wohl die gleiche Idee wie ich«, sagte sie leise.
    »Unten ist es nicht auszuhalten. Ich habe gewartet, bis alle schliefen, bevor ich mich heraufschlich. Die Luft tut gut.« Er atmete tief ein und schloss für einen Moment die Augen.
    Eleonora nickte. »Rück ein Stück, bitte!« Sie strich ihre Röcke glatt, bevor sie sich dicht neben ihm niederließ. Schulter an Schulter saßen sie da, Bein an Bein, und schauten in den Nachthimmel, als wollten sie die Sterne zählen.
    Matthias’ Nähe fühlte

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