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Weiße Nächte, weites Land

Weiße Nächte, weites Land

Titel: Weiße Nächte, weites Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Sahler
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zwinkerte ihr zu.
    Ein flüchtiges Lächeln erhellte Klaras Gesicht.
    »Jetzt wieder alles gut?«
    Klara nickte, während die Kolonne mit der Geschwindigkeit eines Leichenzuges voranschlich.
    An den Weggabelungen baumelten Schilder, auf denen die Namen fremdartig klingender Orte standen.
    Bis sie nach etwa zwei Stunden Peterhof erreichten, plapperten und zappelten die beiden Kinder. Dann verstummte das Geschnatter allmählich, und sie nickten ein. Sophia an Klara gelehnt und Klara an Eleonora.
    Während die beiden Mädchen dösten, verschwand das zur Schau gestellte, Zuversicht verströmende Lächeln aus Eleonoras Gesicht.
    Nikolaj, Mascha und der Arzt Michail hatten, wenn auch mit vorsichtigen Umschreibungen, um sie nicht einzuschüchtern, berichtet, dass die Verluste der Kolonisten bei dieser monatelangen Fahrt durch die russischen Dörfer, Städte und Wälder unglaublich hoch seien – dass diese Verluste sogar bei den Berechnungen der Zarin berücksichtigt waren.
    Eleonora befürchtete, dass Sophia und Klara zu den Schwächeren gehören könnten, deren Kräfte die Reise überstieg.
    Und ob sie selbst in ihrem Zustand durchhalten würde, war ebenfalls fraglich.
    Wenn sie zuerst starb – wer würde für die Kinder sorgen?
    Sie starrte auf Matthias’ breiten Rücken in der vorderen Kutsche. Wie selbstverständlich er sich um Sophia und Klara gekümmert hatte. Aber das waren nur wenige Tage gewesen …
    Die schmalen Schultern Christinas, die neben ihm saß, hingen herab, als wäre sie mit dem Kinn auf der Brust eingenickt.
    Groll stieg in Eleonora hoch, während sie auf ihre Schwester blickte, deren Kopf im Takt der Kutschenräder wackelte.
    Ob sie ihr jemals verzeihen konnte?
    Würde sie jemals vergessen, dass Christina versucht hatte, sie von dem Liebsten, was sie auf der Welt besaß, zu trennen?

    Alles war schiefgelaufen.
    Hier saß sie auf dem rappelnden Kutschbock neben diesem hessischen Ochsen, dessen Miene sie wohl nie zu deuten lernen würde und der grabeskalt auf jede harmlose Nettigkeit ihrerseits reagierte.
    Sauer stieg Christina Magenflüssigkeit in den Mund. Angewidert verzog sie das Gesicht.
    Mit Grauen erfüllte sie die Erkenntnis, dass der Tag nicht mehr weit war, an dem sie Matthias gestehen musste, dass sie ein Kind erwartete. Mehr Worte wären nicht nötig, denn er würde selbstverständlich wissen, dass es sein Fleisch und Blut nicht sein konnte.
    Sie rumpelte der Hölle entgegen – und war dem Himmel nah gewesen.
    Das süße Kribbeln auf jedem Fleck ihrer Haut in dem Bett in Petersburg würde sie ihr Lebtag nicht vergessen. Und auch nicht den Duft nach Minze, der sich mit der würzigen Seeluft, die von draußen hereinwehte, mischte.
    Allerdings würde ihr ebenso Maschas Miene auf ewig im Gedächtnis bleiben – etwas Lauerndes hatte darin gelegen, Misstrauen, Wachsamkeit.
    Christina wusste, dass es, wann immer sie versuchte, Männer um den Finger zu wickeln, Frauen gab, die sich von ihr herausgefordert fühlten, ihr Spiel zu durchkreuzen. Mascha gehörte möglicherweise genau zu dieser Sorte.
    Nachdem sie vorgeschlagen hatte, dass sie gleich einen Boten nach Oranienbaum schicken könnte, der Nachricht von ihrem Verbleib überbrachte, hatte Christina, einer spontanen Eingebung folgend, zu einer List gegriffen. Beim Aufstehen hatte sie starke Schmerzen simuliert und war sogar zu Boden gegangen, wo sie sich heulend ans Knie fasste …

    Wie nicht anders erwartet, sprang Nikolaj sofort an ihre Seite, um sie hochzuheben wie ein kleines Mädchen und wieder ins Bett zu legen.
    »Was ist mit Euch?«, fragte er.
    »Ich kann nicht auftreten. Irgendetwas stimmt mit meinem Knie nicht. Und schwindelig ist mir, entsetzlich schwindelig.«
    »Sie ist nicht reisefähig«, erklärte Nikolaj. »Warten wir noch, so lasse ich sie nicht mit dem Treck ziehen.«
    Mascha zog eine Braue hoch, nickte und wandte sich zum Gehen. »Wie du meinst, Nikolaj. Sie steht unter deinem Schutz.«
    Als Mascha das Zimmer verließ, verlor Christina keine Zeit. Sie schlang die Arme um Nikolajs Hals, als er sich zu ihr beugte, und zwang ihn mit zarten Händen, ihr in die Augen zu schauen. »Stimmt das? Ich stehe unter Eurem Schutz?«
    »Selbstverständlich. Ich habe Euch gefunden und hergebracht – ich werde dafür sorgen, dass Euch kein Leid widerfährt.«
    »Nikolaj, Ihr ahnt nicht, was ich darum gäbe, wenn wir hier bleiben dürften«, flüsterte Christina. »Die Weiterreise wird über unsere Kräfte gehen. Wir werden das

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