Weiße Nebel der Begierde
unwillig, Gast der Alten bleiben. Der Anblick seines Heims, das ihm so nah und doch unerreichbar war, quälte ihn. Es gelang ihm allerdings, das Vertrauen der Hexe so weit zu gewinnen, dass sie ihm von der Axt erzählte, die den Zauberfaden durchtrennen konnte. In einer mondlosen Nacht stahl MacFeagh die Axt, durchtrennte den Faden und ergriff die Flucht. Seine
Familie, die sich um ihn geängstigt hatte, begrüßte ihn erleichtert und voller Freude, aber der Wind trug das wütende Geheul der Hexe bis zu ihm.
Am folgenden Tag erschien die Hexe vor MacFeaghs Tür, verlangte die Erfüllung seines Versprechens und forderte seinen kostbarsten Besitz als Geschenk. Als er ihr eine wunderschöne, mit Juwelen besetzte Brosche anbot, wehrte sie ab und sagte, sie würde die uralte und berühmte Fahnenstange der MacFeaghs als Gegenleistung für die Rettung seines Lebens akzeptieren.
Murdoch weigerte sich, sie ihr auszuhändigen, und bot ihr dafür unvorstellbare Reichtümer und Güter an, aber sie blieb beharrlich. MacFeagh dachte nicht daran, sich von dem alten Erbstück zu trennen, aber die finstere Gegenwart der Hexe beunruhigte ihn, deshalb brachte er die Hexe weg und riet ihr drohend, sich nie wieder blicken zu lassen.
Am folgenden Morgen waren drei der fünf Kinder des Clan-Chefs auf rätselhafte Weise verschieden - sie lagen tot in ihren Betten. Sie sahen aus, als würden sie friedlich schlafen, als hätte man ihnen in der Nacht den Atem gestohlen. Gramgebeugt ging MacFeagh zu der Truhe und entdeckte, dass die uralte Fahnenstange verschwunden war; sie musste entwendet worden sein, ohne dass jemand das Schloss berührt hatte.
An ihrer Stelle lag ein ausgefranstes Pergament, auf das das Folgende in altem Gälisch geschrieben stand:
Neunhundert Jahre und ein Jahrhundert mehr, wird jedes lebende Wesen - Mensch oder Tier-, dem Ihr erlaubt, die Tür zu Eurem Herzen aufzustoßen, verschwinden und eines grausamen Todes sterben, während Ihr hilflos zuseht und verlassen und allein zurückbleibt. Nur hier auf dieser Nebel umhüllten Insel liegt die Wahrheit. St. Colombas Stab wird den Fluch verbannen, der auf Eurer Familie liegt. Ein Mensch reinen Herzens und sehenden Auges wird die Verfehlungen der Vergangenheit wieder gutmachen und dem Leid ein Ende setzen.
Von da an und in den folgenden drei Jahrhunderten erlitten alle Menschen, die von den Chefs der MacFeaghs geliebt wurden, einen plötzlichen unnatürlichen Tod - sie ertranken, kamen bei einem Feuer ums Leben oder stürzten zu Tode. Wann immer ein MacFeagh den Fehler beging, jemandem Zugang zu seinem Herzen zu gewähren, wurde der Fluch wirksam, genau wie es die Hexe vor langer, langer Zeit prophezeit hatte.
Aus diesem Grund wurden die folgenden Clan-Chefs zu harten und unnachgiebigen Männern, die hilflos mit ansehen mussten, wie diejenigen, die mit ihnen lebten, ohne jede Vorwarnung Opfer des Fluches wurden, den die verbitterte Hexe ausgestoßen hatte. Als Junge hatte Gabriel seinen Vater, den großen Alexander MacFeagh, kaum zu Gesicht bekommen. Seine Mutter Lillidh kümmerte sich um ihn, währen der Vater den älteren Sohn Malcolm auf die Rolle des zurückgezogen lebenden Clan-Chefs vorbereitete.
Malcolm war ein emsiger Schüler gewesen, hatte das gefürchtete Vermächtnis auf sich genommen und war zu einem grimmigen Mann herangewachsen, der ebenso kalt und gefühllos war wie sein Vater. Alle hatten ihm vorausgesagt, dass er ein guter Laird werden würde, weil er niemanden in seiner Nähe duldete, nicht einmal seine Mutter.
Aber kein Mensch hatte mit Malcolms frühzeitigem Tod gerechnet. Eine Laune des Schicksals hatte ihn dazu gebracht, die giftige Wurzel des Eisenhuts zu essen, statt, wie er beabsichtigt hatte, die des Meerrettichs. Demzufolge hatte auch niemand voraussehen können, dass Gabriel, der zweite Sohn, plötzlich zum Erben werden würde.
Gabriel war nur schlecht darauf vorbereitet, die verfluchte Rolle des MacFeagh-Chefs einzunehmen. Anders als Malcolm war er nicht dazu erzogen worden, seine Gefühle hinter eine Mauer der Gleichgültigkeit zu verschanzen und jede Herzensregung und das Mitleid aus seinem Leben zu verbannen. Aus diesem Grund hatte Gabriel den fatalen Fehler begangen, Zuneigung für Georgiana zu hegen und ihr helfen zu wollen - letzten Endes hatte diese Zuwendung zu ihrem Tod geführt und den allgemeinen Glauben genährt, dass die MacFeaghs die Ihren ermordeten. Gabriel hatte eines daraus gelernt - er musste tun, was in seiner Macht
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