Weiße Nebel der Begierde
würde. Es war eine schreckliche Geschichte, die vor beinahe dreihundert Jahren geschrieben worden war und immer wieder durch alle Generationen hindurch den verfluchten MacFeaghs widerfuhr.
Gabriel trank den letzten Schluck Brandy, verließ seinen Platz am Kamin und ging durch den dunklen Raum zu der großen Truhe, die mindestens so alt aussah wie das Schloss selbst. Er zog den fadenscheinigen, ausgebleichten Gobelin weg, der auf dem Deckel lag, und strich mit der Hand über das dunkle Eichenholz mit den Schrammen und Kerben aus vielen vergangenen Jahrhunderten.
Gabriel zog die lange Silberkette, die er um den Hals trug, unter seinem Hemd hervor. In dem schwachen Schein des Feuers blitzte der kleine Schlüssel auf, der an der Kette hing und den alle Clan-Chefs der MacFeagh vor ihm auf diese Weise bei sich getragen hatten.
Das grobe Schloss an der Truhe war ebenso geheimnisvollen Ursprungs wie die Truhe an sich. Es hatte Spuren an sich, die im Laufe der Jahre verschiedene Eindringlinge und Diebe hinterlassen hatten, als sie das Schloss aufbrechen wollten, aber dieses Schloss war so konstruiert, dass nur der Schlüssel der MacFeaghs hineinpasste - es war eine Art Exkalibur-Relikt. Und selbst der Schlüssel öffnete das Schloss nur, wenn ein Clan-Chef der MacFeaghs ihn benutzte; bei jedem anderen würde er sich als nutzlos erwiesen - und fatal, denn jeden, der es versuchte, ereilte augenblicklich der Tod, als wäre das Eisen, aus dem das Schloss geschmiedet war, mit einem Zauberbann belegt.
Es war das einzige Schloss, das würdig genug war, den wertvollsten Besitz der MacFeaghs zu sichern.
Gabriel steckte den Schlüssel ins Schloss, löste den Haken und hob den Deckel hoch. Die Truhe war auffallend leer und barg nicht mehr die Reliquie, die vor Jahrhunderten hier gelegen hatte. Sie war verschwunden.
Die alte Fahnenstange der MacFeaghs war ein Symbol des Clans seit der Zeit, in der der Clan in den Chroniken zum ersten Mal erwähnt wurde, und wurde von Beginn an von Generation zu Generation weitergegeben. Da die MacFeaghs mit den Bischöfen der von St. Columba gegründeten Priorei auf Trelay vor vielen Jahrhunderten in enger Verbindung standen, erzählten sich die Leute, dass die Stange aus dem Holz der curragh geschnitzt worden sei, mit der der Heilige von Irland hierher gesegelt war, und dass sie deshalb besonders gesegnet sei. Die Legende besagte, dass die Stange lang und kräftig, auf magische Weise unzerstörbar und aus leuchtend weißem Holz unbekannter Herkunft gemacht sei. Solange der Chef der MacFeaghs im Besitz dieses Symbols war, würde der Clan im Wohlstand leben - und der Clan war tatsächlich seit einigen Jahrhunderten wohlhabend.
Unter dem großen Murchardus Maca’phi hatte der Clan in früheren Zeiten nicht nur Trelay, sondern auch einige Nachbarinseln beherrscht. Der Clan wurde mit der vererbbaren Ehre betraut, die uralten Chroniken über die ersten Lords der Inseln zu bewahren. Der Legende nach begann das Unheil, das die Geschicke der Familie bis zum heutigen Tag beeinflusste, Anfang des sechsten Jahrhunderts, als ein Ahne des großen Murchardus, ein gewisser Murdoch MacFeagh, der zu dieser Zeit Clan-Chef war, vom Fluch einer Hexe der Nachbarinsel Jura getroffen wurde.
Die Geschichte berichtet, dass Murdoch, ein Bär von einem Mann mit den für die MacFeaghs typischen dunklen Haaren und Augen, in seinem bhirlinn segelte, als ein entsetzlicher Sturm aufkam, der ihn und seine Mannschaft hilflos in das eisige Wasser schleuderte. Er kämpfte tapfer gegen die heimtückischen Wellen, während er die Todesschreie der anderen Männer hörte, die vom Meer verschluckt wurden, bis er vor Erschöpfung das Bewusstsein verlor.
Als er wieder erwachte, lag er unter wärmenden Fellen an einem knisternden Feuer in einer Höhle. Die hagere alte Frau, die das Feuer schürte, erzählte MacFeagh, dass sie ihn durch einen Zauberspruch vor dem Ertrinken bewahrt und ihn in ihre Höhle auf der Insel Jura gebracht hätte.
MacFeagh war so dankbar für die Rettung, dass er versprach, sie mit dem Kostbarsten seiner Besitztümer zu belohnen. Er blieb einige Tage bei der Hexe, bis seine Gesundheit wiederhergestellt war, aber als er seine Kraft zurückgewann und daran dachte, wieder zu seinem Schloss zu segeln, das er im Dunst auf der Nachbarinsel sehen konnte, weigerte sich die Hexe, ihn ziehen zu lassen. Immer wieder zog sie sein Boot an einem Zauberfaden zurück.
MacFeagh hatte keine andere Wahl, er musste, wenn auch
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