Weiße Nebel der Begierde
Eskapade war, dass Eleanors Mutter, Lady Frances, statt die Festivität zu genießen, den Abend damit verbrachte, neben der Kutsche zu stehen und aufgeregt das Taschentuch zu wringen, während Christian, der Knighton-Kutscher und etliche andere das Gefährt fast ganz auseinander nehmen mussten, um Eleanor zu befreien.
Obwohl Christian keine Begeisterung zeigte, war Eleanor zuversichtlich geblieben, mit Richard die richtige Wahl getroffen zu haben. Immerhin waren fast all ihre Freundinnen schon verheiratet und der junge Mann passte sehr gut zu ihr. Sie verbrachten fast sieben Monate zusammen, tanzten, gingen im Park spazieren (natürlich immer unter den wachsamen Blicken ihrer Mutter) und steuerten unaufhaltsam auf den Moment zu, in dem Richard um ihre Hand anhalten würde. Die älteren Damen der Gesellschaft nickten anerkennend mit den Köpfen, und Eleanor wartete geduldig darauf, dass alles seinen Lauf nahm, so wie man es ihr in ihrer Mädchenzeit prophezeit hatte
- bis zum 12. September 1820, an dem Christian ihr sehr genau erklärte, warum diese Ehe nie, niemals zustande kommen konnte.
Der Tag, der einen erdbebenähnlichen Aufruhr mit sich bringen sollte, begann mit trügerischer Ruhe.
Eleanor war zu Besuch in Skynegal, dem alten Schloss in den nordwestlichen Highlands von Schottland, das ihr Bruder mit seiner Frau Grace bewohnte. Es war ein kühler Morgen, der den kommenden Herbst ankündigte.
Eleanor wachte früh auf, gerade als das erste Sonnenlicht über die Berge im Osten kroch und den Reif auf den mit Heidekraut bewachsenen Hängen jenseits der Schlossmauer zum Glitzern brachte. Alles erschien so wunderbar.
Sie frühstückte allein in ihrem Zimmer, genoss, in eine dicke Wolldecke gewickelt, die Wärme des Torffeuers im Kamin, las und stickte sogar ein bisschen. Sie hatte sich vorgenommen, den ganzen Tag so friedlich zu verbringen, doch kurz vor Mittag traf der Brief mit dem unverkennbaren Siegel des Earl of Herrick ein.
Richard schrieb ihr von dem Besitz seiner Familie in Yorkshire aus, und in dem Brief machte er ihr, genau wie es sich Eleanor schon so lange ersehnt hatte, einen Heiratsantrag und informierte sie über seinen Londoner Anwalt Mr Jeremiah Swire, der, falls sie einwilligte, den Ehevertrag aufsetzen und sich um andere juristische Einzelheiten kümmern würde.
Obwohl dies nicht der romantische Antrag mit Kniefall bei Mondschein war, den sie und Amelia B. sich als junge Mädchen ausgemalt hatten, sprühte Eleanor vor Aufregung, als sie sich augenblicklich auf die Suche nach Christian machte.
Sie fand ihn allein in seinem Arbeitszimmer.
Christian las Richards Brief durch - zweimal -, dann blieb er reglos hinter seinem Schreibtisch sitzen, hörte zu, als Eleanor jedem Einwand, den er hervorbringen könnte, zuvorkam und auch noch andere Argumente entschärfte, an die er gar nicht gedacht hatte. Sie erinnerte ihren Bruder, dass seine Hochzeit mit Grace Anfang des Jahres und sogar die ihrer Eltern von ihrem Großvater, dem Duke of Westover, arrangiert worden waren, und behauptete, dass ihre Ehe ein weitaus festeres Fundament haben würde, da sie und Richard viel Zeit gemeinsam verbracht und sich selbst füreinander entschieden hatten, ohne dass jemand über sie bestimmte.
Eleanor war sich ihrer Sache sehr sicher, und wenn Christian Gründe anführte, die gegen diese Verbindung sprachen, konterte sie mit Gründen, die dafür sprachen. Und als Christian schließlich in Schweigen verfiel, glaubte sie, ihn für ihre Sache gewonnen zu haben.
Sie hätte keinem größeren Irrtum unterliegen können.
»Tut mir Leid, Nell. Eine Eheschließung mit Herrick ist schlichtweg unmöglich. Mehr ist dazu nicht zu sagen.«
Der Christian, den sie in diesem ganz besonderen Augenblick vor sich hatte, sah plötzlich ganz anders aus als der geliebte Bruder, den sie ihr Leben lang gekannt hatte. Er hatte dasselbe kastanienbraune Haar - eine Nuance dunkler als ihr eigenes - und die hellblauen Augen ihrer Mutter, aber die Stirn war tief gefurcht, und das Lächeln, das er sonst immer zeigte, war verschwunden.
Erst bei diesem Anblick begann Eleanor sich ernsthaft zu ängstigen.
»Warum, Christian? Bitte sag mir, wieso du so strikt gegen Lord Herrick bist. Hältst du ihn für unehrenhaft? Hast du etwas über ihn in Erfahrung gebracht, was ich wissen sollte?«
»Nein«, erwiderte er mit einem düsteren Blick. »Nach allem, was ich gesehen und gehört habe, ist Herrick der Gentleman, den du kennst.«
»Richard
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