Weiße Nebel der Begierde
der Stadt haben, ehe Sie zu den Highlands aufbrechen können«, sagte der Colonel und schlug Gabriel auf die Schulter. »Da sich die Jungs alle auf der Halbinsel aufhalten, sind hier die Tanzpartner rar, und meine Frau ist der Verzweiflung nahe, weil ihre Soiree zur Katastrophe werden könnte.«
Colonel Bernard Barrett war für Gabriel wie ein Vater, den er im Grund nie gehabt hatte, obwohl Alexander MacFeagh noch den zwanzigsten Geburtstag seines Sohnes Gabriel erlebt hatte. Colonel Barrett hatte dafür gesorgt, dass sich Gabriel den 105. Dragonern verpflichtete, und später, als Gabriel nach Schottland zurückberufen wurde, hatte er ihm geholfen, sein Patent an einen anderen Offizier zu verkaufen.
In den Jahren, in denen Gabriel unter ihm gedient hatte, brachte ihm der Colonel bei, wie man sich gegen den Angriff eines Feindes verteidigte und die Schwächen eines Gegners für sich nutzte, zeigte ihm, was es hieß, Mut, Klugheit und Galanterie zu beweisen, aber am wichtigsten war, dass Gabriel die wahre Bedeutung von Ehre kennen lernte.
Wenn dem Colonel die wahre dunkle Geschichte von Gabriels Familie bekannt gewesen wäre, hätte er nie ein Wort darüber verloren. All die vielen Monate, in denen sie Portugal und Spanien auf Napoleons Fersen durchquerten, behandelte der Colonel Gabriel mit höchstem Respekt und größter Fairness, während die englischen Soldaten nur Verachtung für ihre schottischen Kameraden übrig hatten. Sogar nach einem dreiviertel Jahrhundert war die Bitterkeit des Unglücksjahres ’45 noch nicht ausgelöscht.
Dennoch hatte Barrett Gabriel die Gelegenheit gegeben, sich sowohl als Soldat auf dem Schlachtfeld wie auch als Verantwortlicher für eine Kompanie zu beweisen, und Gabriel hatte sich aus Dankbarkeit für all die Wohltaten bereit erklärt, Mrs Baretts Ball zu besuchen, sich aber fest vorgenommen, nur eine Stunde zu bleiben.
Dies war der Ball, auf dem er Georgiana zum ersten Mal sah.
Sie stand auf der anderen Seite des Saales an der Wand neben anderen jungen Ladys vom Lande. Alle waren nach der neuesten Mode geklei-det, lächelten und wedelten mit ihren hübschen Fächern, um die Blicke der jungen Burschen auf sich zu ziehen.
Etwas an Georgiana fesselte Gabriels Aufmerksamkeit, und das lag nicht nur daran, dass sie an diesem Abend besonders hübsch war mit den hoch aufgetürmten blonden Locken, die ihren zarten Hals und die Schultern freiließen, oder an dem schönen Fächer oder dem kunstvoll bestickten Mieder - das alles veranlasste ihn nicht dazu, immer wieder in ihre Richtung zu sehen. Mitten in diesem vollen Raum zogen ihn allein Georgianas Augen unwiderstehlich an.
Sie waren hell, silbriggrau wie Regentropfen in einer Mondscheinnacht, und sie drückten eine Traurigkeit aus, die er nie für möglich gehalten hätte.
Da er in eine Familie hineingeboren war, deren Geschichte so finster und freudlos war wie seine persönliche, erkannte Gabriel ein anderes Opfer des Unglücks auf den ersten Blick. Er beobachtete Georgiana den ganzen Abend, die wie angewurzelt an derselben Stelle stand, während die anderen Mädchen tanzen und an dem fröhlichen Treiben um sie herum teilnahmen.
Ein Jammer, dass ein so hübsches Mädchen so betrübt ist, dachte er. Und ein noch größerer Jammer war, dass es niemand außer ihm zu bemerken schien.
Als sich Gabriel nach der versprochenen Stunde zum Gehen bereit machte, hörte er zufällig, wie Georgianas Mutter ihr eine scharfe Bemerkung ins Ohr zischte und sie schalt, weil sie sich keine
Mühe gab, die Männer auf sich aufmerksam zu machen. Etwas in Georgianas Augen, die wie versteinert auf den Unmut der Mutter reagierte, verriet Gabriel, dass sie nach dem Ball weit Schlimmeres als böse Worte zu erwarten hatte.
Ihm war nicht klar, was plötzlich über ihn kam; er wusste nur, dass er alles getan hätte, um diesen starren Blick aus den silbergrauen Augen zu vertreiben ...
Er forderte Georgiana zum Tanz auf.
Dieser kleine impulsive Moment führte zu mehr. Gabriel machte Georgiana den Hof und heiratete sie knappe drei Monate später. Als er in das Schloss seiner Kindheit nach Trelay zurückkam, um sich dort als Laird der Insel einzurichten, war Georgiana als seine Gattin an seiner Seite.
Erst als sie in Schottland waren und eine sichere Entfernung zwischen sich und London und die quälenden Erinnerungen gelegt hatten, lernte Gabriel die wahren Tiefen der Melancholie kennen, unter der seine junge Frau litt und die durch jahrelange seelische
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