Weiße Nebel der Begierde
Stolz die Karten zusammen. »Die Tante eines Familienfreundes hat es mir beigebracht. Statt die Nachmittage bei Tee und Gebäck zu verbringen, haben wir Karten gespielt. Sie ist ausgesprochen raffiniert.« Sie erhob sich, räumte die Karten weg und zog ihre Handschuhe an, um klarzustellen, dass sie jetzt aufbrechen wollte. »Sind Sie bereit, Mylord?«
»Bereit?«
»Ja, lassen Sie uns gehen. Wir wollen doch nicht zu spät kommen, oder?«
Sie zog die Möglichkeit, dass er einen Rückzieher machen könnte, gar nicht in Erwägung. Gabriel sah sie nachdenklich an. Er gehörte nicht zu den Menschen, die eine Schuld nicht einlösten. Sie hatte ihn ehrlich besiegt. Und er redete sich ein, er könnte Seamus Maclean besser im Auge behalten, wenn er sich mitten im Geschehen aufhielte.
Er würde mitgehen.
»Unter einer Bedingung«, sagte er.
Sie drehte sich mit leuchtenden Augen zu ihm. »Ja, Mylord?«
»Ich möchte, dass Sie mich nicht mehr mit >Mylord< oder >Sir< ansprechen. Jeder, der imstande ist, mich beim Kartenspiel zu besiegen, sollte mich mit Vornamen anreden.«
»Aber, Mylord, schickt sich das für jemanden, der in Ihren Diensten steht?«
»Es schickt sich, wenn ich sage, dass es sich schickt.«
»Oh.«
Als sie das nächste Mal das Wort ergriff, war ihre Stimme deutlich sanfter. »Aber es ist mir peinlich zu sagen, dass ich nicht einmal weiß, wie Sie heißen.«
Sein Blick hielt ihrem stand. »Gabriel.«
Sie lächelte zart, als würde ihr dieser Name gefallen. »Schön, Gabriel.«
Zum ersten Mal brachte der Klang seines Namens seinen Puls zum Rasen.
»Gut, sollen wir gehen?«
Er wandte sich ab, aber trotzdem sah sie, dass er errötete.
Als er sein Jackett anzog, meinte sie: »Wenn ich Sie mit Vornamen ansprechen soll, dann bestehe ich darauf, dass Sie dasselbe tun.«
Er sah sie an. »Gut, Eleanor.«
Eleanor. Für einen kurzen Moment fürchtete Eleanor, dass ihre Farce mit Miss Nell Harte zu Ende war. Sie suchte nach einem Hinweis in seinen Augen. Kannte er ihre wahre Identität? Hatte er eine Suchmeldung wie die, die sie von der Wand des Gasthofs genommen hatte, gelesen?
Nichts deutete jedoch darauf hin, dass er etwas wusste; vermutlich hatte er nur die formellere Version von >Nell< gewählt. Wenn ihm die Wahrheit bekannt wäre, hätte er sie sicherlich schon längst darauf angesprochen.
Sie verließen das Arbeitszimmer und gingen nebeneinander den Weg zum Hügel hinauf, wo sich die Inselbewohner bereits versammelt hatten, um den Segen für den struan-Kuchen zu erbitten. Klar und strahlend war der Tag angebrochen; die Sonne erhob sich, schimmerte rosa und lila hinter dem Dunst und legte einen blassgrünen Zauber auf das Wasser. Die Landschaft war in satte Farben getaucht.
Als sie ihren Platz inmitten der kleinen Gemeinde einnahmen, fielen Eleanor die überraschten Blicke und verwunderten Mienen auf. Sie spürte, dass Gabriel sich verspannte, während er sich unter die Menschen mischte, deren Laird er war, denen er aber schon seit langem aus dem Wege ging. Nach einer Weile wurde er jedoch ein wenig lockerer, weil sich keine Proteste erhoben und niemand hinter vorgehaltener Hand tuschelte.
Diejenigen, die ihn wie Donald MacNeill oder Mairi gut kannten, waren einfach nur erstaunt und freuten sich, weil er gekommen war. Andere, die ihn selten persönlich zu Gesicht bekamen, sahen ihn an, als wüssten sie nicht so recht, was sie von seinem Erscheinen halten sollten. Eleanor nahm an, dass es den meisten schwer fiel, den Mann, der plötzlich in ihrer Mitte stand, als Inkarnation des Teufels anzusehen.
Nur eine Person, Seamus Maclean, zeigte Verachtung, als er Gabriel anfunkelte.
Gabriel und Eleanor hatten sich zu Mairi und Juliana gesellt, als der Priester seine gälische Predigt begann, den Tag, die Ernte, die Insel, die Gesundheit der Leute und des Lairds zu segnen. Als würde der Himmel die spezielle Bedeutung dieses Tages erfassen, schickte er einen salzigen Wind über die See, der die Nebelfetzen von der zerklüfteten, kargen, aber wunderschönen Insel vertrieb, während sich die melodiöse Stimme des Priesters mit dem Wind erhob.
Als der Gottesdienst zu Ende war, rührte sich niemand von der Stelle. Es schien, als würden alle auf etwas warten, und Eleanor begriff, dass Gabriel als Laird den Rundgang durch die letzte Ruhestätte der Inselbewohner anführen sollte. Dies war eine Tradition, die er seit Jahren vernachlässigt hatte.
Er sah Eleanor an, da er wusste, was man von ihm erwartete, aber
Weitere Kostenlose Bücher