Weiße Nebel der Begierde
über den Winter ruhiger wurde, würde sie ihrer Mutter schreiben und sie wissen lassen, dass es ihr gut ging, das nahm sich Eleanor fest vor. Allerdings würde sie ihr auf keinen Fall verraten, wo sie war, und ihr nur versprechen, alles zu erklären, sobald die richtige Zeit dafür gekommen sei. Lady Frances würde sie verstehen, denn gerade sie wusste, dass es manchmal besser war, wenn einige Dinge unausgesprochen blieben ...
Mit diesen Gedanken formte Eleanor ihre eigenen kleinen Kuchen und widmete jeden schweigend ihren Angehörigen, Mutter... Christian ... Grace ...
Als sie am Abend mit dem Backen fertig waren, stand der Mond hoch am Sternenhimmel, und etliche kleine Kuchen standen in ordentlichen Reihen zum Abkühlen auf dem Tisch. Bevor Mairi die Küche verließ, brach sie ein winziges Stück von dem großen Michaelis-Kuchen ab und warf es ins Feuer. Sie erklärte, dass diese Opfergabe Brauch sei und »das Haus im kommenden Jahr vor bösen Taten der Unterwelt schützen« solle.
Die Feier begann früh am nächsten Morgen mit einem Rundgang durch den Friedhof der Insel und der Ehrung der Toten.
Kurz nach Tagesanbruch liefen Juliana und Eleanor die Turmtreppen hinunter und knabberten an ihren Haferkuchen, während sie sich die Häubchen aufsetzten und sich auf den Weg nach draußen machten, um sich zu den anderen zu gesellen. Mairi und ihre Töchter warteten schon auf sie, als sie in die große Halle kamen.
»Haben sie schon angefangen?«, fragte Eleanor und hoffte, dass sie nicht zu lange geschlafen hatten.
»Nein, noch nicht, Kindchen. Aber wir sollten uns beeilen, sonst verpassen wir den Morgensegen.«
Sie durchquerten eilends die Halle, aber Eleanor zögerte, als sie Lord Dunevin durch die offene Tür seines Arbeitszimmers am Fenster stehend erspähte.
»Was ist, Kindchen?«, wollte Mairi wissen, weil Eleanor nicht mit zur Tür kam.
Eleanor brachte Juliana zu ihr. »Nimmt Lord Dunevin nicht an den Festlichkeiten teil?«
»O nein. Der Laird feiert nicht mit.«
»Warum nicht?«
Mairis Gesicht verdüsterte sich, und sie sagte im Flüsterton: »Sie erinnern sich an die schrecklichen Dinge, die Seamus Maclean zu Ihnen gesagt hat? Über den Laird? Die Festländer reden auch mit den Inselbewohnern; Geschichten sprechen sich herum, und na ja, der Laird meint, es wäre das Beste für alle, wenn er im Schloss bliebe.«
»Oh.«
Eleanor starrte zur Tür und dachte nach. Ob es Klatsch gab oder nicht, es war nicht richtig, dass er sich hier verschanzte, während seine Leute auf seiner Insel das bedeutendste Fest des Jahres feierten.
Er war der Laird, ihr Laird. Die Inselbewohner hörten schon viel zu lange auf die falschen Anschuldigungen anderer, auf abergläubischen Unsinn, dem im Laufe der Zeit so viel hinzugefügt worden war, dass die Geschichten kein Körnchen Wahrheit mehr enthielten.
Lord Dunevin war kein Zauberer der schwarzen Magie, der einen schreckliche Fluch über seine Tochter verhängt hatte, um ihr die Stimme zu rauben. Er war nicht verantwortlich für Missernten, Unwetter oder dafür, dass die Kühe auf dem Festland einen weißen Fleck in Form eines Blitzes auf dem Nacken hatten. Die Leute von der Insel hielten Lord Dunevin schon viel zu lange für jemanden, der er nicht war. Es war höchste Zeit, dass sie ihren Laird wirklich kennen lernten.
Mairi beugte sich zu Juliana, um ihr zu helfen, das Häubchen zurechtzurücken und eine ordentliche Schleife zu binden. »Gehen wir?«
Aber Eleanor rührte sich nicht von der Stelle. »Mairi, gehen Sie doch schon mit Juliana vor. Ich komme gleich nach.«
Mairi sah sie an und wusste sofort, was sie vorhatte. »Gut, Kindchen. Wir sehen uns dann auf dem Hügel. Aber seien Sie nicht enttäuscht, wenn Sie ihn nicht umstimmen können. Wir haben es in den letzten Jahren auch versucht und hatten keinen Erfolg.«
Eleanor nickte und sah ihnen nach. Erst als sie aus dem Haus waren und die Tür hinter sich ge-schlossen hatten, wandte sich Eleanor dem Arbeitszimmer zu.
Dunevin stand noch immer am Fenster, als sie das Zimmer betrat. Selbst aus dieser Entfernung sah sie ihm an, dass er angespannt war wie ein Schäferhund, der seine Herde bewacht und ein Raubtier wittert, es aber nicht sehen kann. Er hatte die Arme verschränkt und machte den Eindruck, als würden ihn seine Gedanken quälen. Er hatte kein Wort mehr über den Vorfall bei dem Festessen gesagt, aber Eleanor wusste, dass ihn dieser Vorfall sehr belastete. Er hatte sie alle belastet.
Cudu hob den
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