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Weiße Nebel der Begierde

Titel: Weiße Nebel der Begierde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaclyn Reding
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Schwierigkeiten hatte, so kurz nachdem er sich aus dem Schatten gewagt hatte, in den Vordergrund zu treten.
    Sie schenkte ihm ein Lächeln und sah ihm nach, als er schließlich auf den Priester zuging.
    Doch selbst dann noch verharrten die anderen und sahen Eleanor an.
    »Sie müssen ihm zusammen mit Juliana folgen«, flüsterte Mairi. »Der Laird und seine Familie gehen zusammen. Das ist Brauch.«
    Eleanor nickte und nahm Julianas Hand, dann gingen sie langsam hinter Gabriel her. Die anderen reihten sich hinter ihr ein.
    Sie gingen in einer stillen Prozession einmal rund um den Friedhof mit seinen geschnitzten Grabkreuzen und Steinen aus vergangenen Jahrhunderten, bevor sich die Familien an die Gräber ihrer Lieben begaben, um dort zu beten oder eine Gabe zu hinterlassen. Der Morgen des St. Michaelstages war den Erinnerungen und dem Angedenken Vorbehalten. Man dachte an seine Vorfahren und daran, woher man kam. Dies war Ausdruck einer Geborgenheit und eines Familienstolzes, den Eleanor niemals in dieser Weise erfahren würde.
    Einige beteten nur, andere opferten Kuchen oder Brot. Eleanor kniete an den Gräbern derer, die keine lebenden Nachkommen mehr hatten, zupfte Unkraut aus der Erde und klaubte Blätter und Zweige auf.
    Als sie sich bereit machte, den Friedhof zu verlassen, löste sich Juliana von ihrer Seite und ging ihrer eigenen Wege.
    »Juliana?«
    Doch das kleine Mädchen marschierte unbeirrt weiter zu dem abgeteilten Stück des Friedhofs, in dem die Vorfahren des Lairds bestattet waren.
    Eleanor unternahm keinen Versuch, sie zurückzuhalten, sondern folgte ihr und sah zu, wie Juliana vor dem wunderschön gemeißelten Steinkreuz stehen blieb, das symbolisch die letzte Ruhestätte ihrer Mutter markierte. Mit all der Unschuld und Sanftmut eines Kindes legte Juliana ein einzelnes Gänseblümchen, das sie auf der Wiese gepflückt hatte, vor das Kreuz. Eleanor war so bewegt, dass sich ihre Augen mit Tränen füllten. Sie hörte nicht, dass sich ihr jemand näherte.
    »Der Mann, der sich vor die Gräber derer stellt, denen er den Tod gebracht hat, hat kein Gewissen«, zischte Seamus Maclean dicht neben ihrem Ohr. Es war, als hätte eine Wolke die Sonne plötzlich verdunkelt. Eleanor wischte sich ärgerlich die Tränen aus den Augen und drehte sich zu Seamus um.
    »Noch weniger Gewissen hat der Mann, der die Bedeutung dieses Tages nicht respektiert, nur um seinen eigenen Groll kundzutun.«
    Sie starrten sich eine ganze Weile an, bis Seamus’ Vater auf sie zukam, seinen Sohn am Arm packte und wegzog. »Verschwinde, Junge. Das bringt nichts Gutes.«
    Seamus riss sich von ihm los. »Nein. Da, sie soll es wissen! Sie soll erfahren, dass er den Seinen den Tod bringt und auch sie in Gefahr ist. Es ist in seinen Augen, Mädchen. Sehen Sie sich seine Augen an. Sie sind tief und finster wie die Hölle. Ohne Leben. Verlassen Sie diesen Ort, bevor es zu spät ist.«
    Eleanor musterte den Mann in eisigem Schweigen.
    Maclean lächelte bitter und schüttelte den Kopf. »Schauen Sie sich all die Kreuze und Grabsteine derer an, die durch die Hand eines Mac-
    Feaghs ums Leben gekommen sind. Das sind stumme Zeugen, Mädchen. Sehen Sie sich an, wie viele wegen dieses von Gott verlassenen Clans ins Grab gesunken sind. Lassen Sie nicht zu, dass Sie eine von ihnen werden. Verschwinden Sie, bevor es zu spät für Sie ist!«
    Eleanor wandte sich voller Abscheu ab - ohne sich mehr dieser boshaften Andeutungen anzuhören, wirbelte sie herum und lief zu Juliana auf den abgeteilten Bereich auf dem Gipfel des Hügels. Aus Ehrfurcht vor dem Tod verlangsamte sie ihre Schritte, als sie zwischen den Gräbern hindurchging. Unwillkürlich las sie einige der Inschriften auf den Grabsteinen und Kreuzen.
    Liusaidh MacFeagh, gestorben im Alter von sieben Jahren und zehn Monaten - im sechzehnten Jahrhundert - Iseabail, Tochter von Alexander MacFeagh und Murchadh MacFeagh, geboren 1710, unerwartet verstorben 1733; und auf dem letzten Kreuz in dieser Reihe stand: Georgiana MacFeagh, Lady Dunevin, wurde 1817 von dieser einsamen Insel geholt.
    Es waren so viele, dass es tatsächlich schwer fiel, an unglückliche Zufälle zu glauben. Doch als Eleanor zu Gabriel sah, der sich mit dem Priester unterhielt, brachte sie es nicht über sich, Seamus Macleans schreckliche Anschuldigungen für bare Münze zu nehmen.
    Es musste eine andere Erklärung für die Todesfälle geben, die sich wie ein dunkler Schatten über diese Insel und ihre Bewohner gelegt hatten. Aber

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