Weiße Nebel der Begierde
welche?
Offenbar waren die meisten der hier liegenden MacFeaghs mitten aus dem Leben gerissen wor-
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den. Und es schien nie Zeugen bei diesen Unfällen gegeben zu haben - nur ein einziges Mal hatte jemand gesehen, was passiert war: Juliana, aber sie war seither in absolutes Schweigen verfallen. Juliana war dabei gewesen, als ihre Mutter verschwand, und sie musste den Schlüssel zu dem Geheimnis haben.
Eleanor war fest entschlossen, diesen Schlüssel zu finden.
Kapitel zwölf
Nach der morgendlichen Andacht veränderte sich die Stimmung, als hätte der Mond der Sonne Platz gemacht. Die Menschen, die feierlich ihrer Toten gedacht hatten, wurden fröhlich und kamen in Festtagslaune.
Der Winter stand vor der Tür, und die Bewohner von Trelay hatten eine reiche Ernte eingefahren, die ihnen über die kommenden Monate genügend Nahrung bieten würde. Die Michaelisfeier war die Belohnung für die Wochen und Monate harter Arbeit. Dies war der Tag, an dem man für ein üppiges Landwirtschaftsjahr und Wohlstand dankte, während andere Distrikte der Highlands und der Westküste gegen Landsäuberungen, ständig steigende Pachten und ökonomische Fehlschläge zu kämpfen hatten.
Die grüne, mit weißem Klee und Löwenzahn durchsetzte Wiese, die sich vom Schloss bis zur Küste erstreckte, war für Spiele und Amüsements der Kinder Vorbehalten, während die Erwachsenen an dem Pferderennen teilnahmen.
Gabriel war nach der Zeremonie am Morgen weggegangen und seither nicht mehr wiedergekommen. Eleanor hoffte, dass er sich nicht entschlossen hatte, das Fest doch lieber von seinem Fenster aus zu beobachten. Sie konnte ihn nicht gut drängen, bei seinen Leuten zu bleiben, aber sie wünschte sich so sehr, dass ihn das Verhalten der Inselbewohner ermutigt hatte. Viele waren nach dem Gottesdienst zu ihm gegangen, um ihm alles Gute zu wünschen.
Das oda-Rennen sollte auf dem Sandstreifen an der Küste stattfinden, der sich von den altehrwürdigen Schlossmauern bis zu jenem Felsvorsprung erstreckte, der den Inselbewohnern als Anlegestelle diente. Es war ein unebenes Gelände von etwa einer Viertelmeile mit vielen natürlichen Hindernissen: verwitterte Felsbrocken, große Klumpen Seegras und verstreutes Treibholz, das das Meer an Land gespült hatte.
Als die anderen den Abhang hinunter zu den Reitern gingen, die sich am Strand versammelten, schirmte Eleanor ihre Augen gegen die Sonne ab und ließ den Blick über die Menschenmenge schweifen.
Sie konnte Gabriel nirgendwo entdecken.
Mairi kam zu ihr und legte locker den Arm um ihre Taille.
»Wenn Sie mich fragen«, sagte sie wie immer weise, »es war ein Wunder, dass Sie ihn überreden konnten, heute Morgen auf den Friedhof zu kommen, Kindchen. Sie sollten glücklich sein, dass Sie das erreicht haben. Er hat sich so lange nicht bei diesem Fest gezeigt, dass er wahrscheinlich Zeit braucht, um sich an die vielen Menschen zu gewöhnen.«
Eleanor nickte und machte sich daran, bei den restlichen Vorbereitungen zu helfen, die sie ihre Enttäuschung vergessen ließen. Mairi und Seona hatten für die Kinder Schüsseln mit einer Lauge aus zerstoßenen Schachtelhalmen, verschiedenen anderen Kräutern und Wasser bereitgestellt, damit sie mit Holzröhrchen Seifenblasen machen konnten.
Am Abend waren für die Kinder etliche Spiele wie Blindekuh und andere vorgesehen, während die Erwachsenen tanzten.
Die älteren Kinder tobten herum und wetteiferten, wer die größten Seifenblasen zustande brachte, die kleineren wie Klein-Donald lutschten die Zuckerbonbons, die Mairi für sie gemacht hatte. Eleanor war glücklich zu sehen, dass Juliana von den anderen bereitwillig mit einbezogen wurde. Keines der Kinder machte eine Bemerkung über ihre Stummheit; sie waren höchstens ein wenig neugierig.
Als ein Junge von etwa sechs Jahren Juliana nach ihrem Namen fragte und sie ihn nur schweigend anstarrte, kam ihr Brighde, ein Mädchen in ihrem Alter mit blonden Locken und bloßen Füßen, zu Hilfe und stellte sie als »meine Freundin, Jwee-lhanna« vor. Jetzt lagen die beiden Mädchen auf den Bäuchen im Gras und suchten in einem Flecken aus weißem Klee nach dem magischen vierblättrigen Kleeblatt.
Wenn sich die Festländer doch ein Beispiel an der Unschuld und Vorurteilslosigkeit der Kinder nehmen würden, dachte Eleanor, während sie die beiden lächelnd betrachtete.
Als das Rennen beginnen sollte, ging Eleanor mit Mairi und Seona zu den anderen Zuschauern am Rand der Strecke. Es sah aus, als wären
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