Weiße Nebel der Begierde
fast alle Familien der Insel zu dem Fest gekommen, denn es hatten sich mindestens zweihundert Menschen jeden Alters an der Rennstrecke eingefunden.
Etwa ein Dutzend Reiter standen mit Pferden, Ackergäulen oder Ponys an der Startlinie. Es war sogar ein Maultier dabei, das aussah, als würde es jeden Moment einschlafen, weil es den Kopf so tief hängen ließ und träge blinzelte. Alle Tiere waren ohne Sattel und Zaumzeug. Die Reiter mussten traditionsgemäß ihre Pferde allein durch ihr Geschick und mit Hilfe eines Seils lenken und antreiben.
»Ich habe mit dem alten Angus um ein Blech Blaubeerkuchen gewettet, dass dein Donald dieses Jahr gewinnt, Seona«, sagte Mairi, während sie auf den Start des Rennens warteten. »Ich habe Donald sogar ein extra Stück Zucker für seinen Gaul gegeben und ihm noch eines versprochen, wenn er vor der hässlichen alten Mähre von Seamus Maclean über die Ziellinie kommt.«
»Und was bekommst du von Angus, wenn Donald nicht gewinnt?«, fragte Seona mit hochgezogenen Augenbrauen und einem schalkhaften Grinsen.
Die Frauen machten sich oft gutmütig darüber lustig, dass Mairis Interesse an dem verwitweten Pächter ein wenig über eine normale Freundschaft hinausging. Sie fragte Seona und Donald oft nach ihm, und der alte Angus hockte fast den ganzen Tag in der Dunevin-Küche bei einer Tasse Tee, während Mairi arbeitete.
»Wenn ich die Wette gewinne, wird Angus heute Abend mit mir bei der cuideachd tanzen.« Als
Seona ihr einen Blick aus den Augenwinkeln zuwarf, setzte sie hinzu: »Ich sehe dir an, was du denkst, Seona MacNeill. Zermartere dir dein hübsches Köpfchen nicht mit dummen Gedanken. Es ist nur, dass ich in den letzten fünf Jahren ohne meinen Torquil nie getanzt habe, und es fehlt mir so sehr.«
Seona sah Eleanor vielsagend an. »Und ich vermute, du bringst all die frischen Haferkuchen und Leckereien in Angus’ Cottage, weil du Angst hast, dass sich der Mann nicht allein verköstigen kann, stimmt’s?«
Mairi reckte trotzig ihr Kinn vor, aber ihre Wangen röteten sich, und sie lächelte, während Seona und Eleanor kicherten. »Ruhig jetzt, ihr frechen Dinger, das Rennen wird gleich gestartet.«
Die Reiter standen bereit in einer Linie, als Donald der Jüngere, der den Startgong mit Hilfe eines Blechtopfes und eines Stockes geben sollte, plötzlich die Arme sinken ließ und zum Schloss schaute. Alle drehten sich um, weil sie sehen wollten, was ihn abgelenkt hatte. Ein einzelner Reiter kam den Abhang herunter.
Aufgeregtes Stimmengewirr erhob sich unter der Menge.
»Du solltest lieber gleich losgehen und deine Blaubeerkuchen backen, Mairi Macaphee«, sagte Seona. »Ich denke, deine Chancen, die Wette zu gewinnen, sind beträchtlich gesunken.«
Eleanors Herz klopfte wild, als sie beobachtete, wie Gabriel auf die Menschenmenge zuritt. Der Wind zerrte an seinem Haar und der letzte Mor-gendunst umwehte die Beine seines stolzen schwarzen Rosses - er sah aus wie ein Krieger aus alten Zeiten, der in die Schlacht ritt. Am liebsten wäre sie ihm entgegengelaufen, aber sie hielt sich zurück.
»Gütige Jungfrau Maria im Himmel«, sagte Mairi und schirmte ihre Augen gegen die grelle Sonne ab. »Das ist der Laird. Er nimmt dieses Jahr am Rennen teil.«
Die Neuigkeit verbreitete sich wie ein Lauffeuer und Aufregung machte sich breit. Sogar die Kinder hielten beim Spielen inne, als Gabriel auf seinem großen Hengst an den erstaunten Inselbewohnern vorbei zur Ziellinie ritt.
Der junge Donald starrte den Laird mit offenem Mund an.
»Ich hoffe, es macht euch nichts aus, wenn ein zusätzlicher Reiter am Rennen teilnimmt«, sagte Gabriel und manövrierte sein Pferd neben das von Donald MacNeill, das mit einem Mal ganz klein neben dem schwarzen Hengst aussah.
Wie die anderen Reiter hatte auch Gabriel seinen Festtagskilt gegen eine enge Reithose ausgetauscht, die sich wie eine zweite Haut an seine Beine schmiegte.
Jetzt wusste Eleanor, warum Gabriel für eine Weile verschwunden war. Der vornehme, ernste Laird, der das Geschehen von der Ferne verfolgte, hatte sich in einen Inselbewohner verwandelt, von dem jeder Zoll ein echter Schotte war.
Er sah großartig aus. Sein dunkles Haar wehte um das scharfkantige Gesicht mit den dunklen Augen. Eleanor konnte den Blick nicht von dem
Mann wenden, der so nobel, so kraftvoll und so unglaublich gut aussah.
Er sah sie an, sie lächelte, dann wurde sie knallrot wie ein albernes Schulmädchen und wandte sich rasch ab. Ihr Lächeln erstarb
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