Weiße Stille
angeschaut, und was du gesehen hast, war Angst.« Er atmete tief ein und aus. »Weil ich immer wusste, dass du wieder gehen würdest.«
Ren öffnete den Mund. »Aber …«
»Ich habe mich gefühlt, als wärst du nur eine Art Leihgabe für mich«, sagte Billy. »Es war so, als würde ich im Urlaub in einem Maserati durch ein exotisches Land fahren.« Billy seufzte. »Aber niemand hat immer Urlaub.«
Eine Träne kullerte über Rens Wange.
»Ich habe nichts zu verlieren. Darum wollte ich, dass du weißt …«
Ren legte einen Finger auf Billys Lippen. »Liebe mich nicht, Billy. Bitte nicht. Damit käme ich nicht klar.«
»He, ich auch nicht. Ich bin wie eine von diesen Frauen, die an inhaftierte Serienmörder schreiben.«
Ren lachte. »Wie schaffst du es bloß, mich immer wieder zum Lachen zu bringen?«
Billy lächelte. »Ich möchte , dass du lachst.«
»Ich auch.«
»Dann hör endlich auf, dich selbst fertigzumachen.«
»Du bist wundervoll, Billy. Scheiß auf die Drogen, die Gewalt …«
Billy lächelte.
»Du hast ziemlich viel Ärger auf dich genommen, um mit mir zusammen zu sein«, sagte Ren.
»Ich habe dich gesehen und mich in dich verliebt.« Er legte eine Hand auf ihre Wange.
»Ich wünschte, ich würde dich nicht mit diesen Dingen in Verbindung bringen. Das sollte ich nicht tun«, sagte Ren. »Ich wünschte, du hättest niemals etwas mit Schuld und Ärger undGeheimnissen zu tun gehabt. Es bricht mir das Herz. Aber ich kann es nicht ändern. Ich kann dir nur sagen, dass …«
»Ja?«
»Ich habe dich sehr geliebt, Billy …« Tränen liefen ihr über die Wangen.
»Und du warst der beste Urlaub, den ich jemals hatte«, sagte er.
»Und du hast mir die besten Hotels gezeigt.«
73.
Der Sommerregen in Denver ergoss sich wie jedes Mal kurz und heftig aus düsteren schwarzen Wolken. Ren stieg aus ihrem Jeep und rannte in das alte, rote Backsteingebäude. Sie hatte sich zehn Minuten verspätet. Sie trug einen pinkfarbenen Jogginganzug und war ungeschminkt.
An der Anmeldung war niemand. Das Wartezimmer war leer. Auf den Tischen lagen Zeitschriften über Kunsthandwerk und Inneneinrichtung, die sie nicht kannte. Ren schlug eine der Zeitschriften auf. Ein Artikel beschäftigte sich damit, wie man seine Jeans mit Drucken der Großen Meister aufmotzt. Auf dem Cover war ein Foto von einem Mädchen mit einer Mona Lisa auf einem Hosenbein ihrer Jeans.
Eine Frau mit grimmiger Miene kam aus dem Zimmer hinter der Anmeldung. Ren war ein wenig irritiert. Die Frau vertrat offenbar die Empfangsdame, die normalerweise hier arbeitete.
»Zu wem möchten Sie?«, fragte die Frau, ohne den Blick zu heben. Das Wartezimmer teilten sich zwei Ärzte – ein Dermatologe und ein Psychiater.
Krankheiten der Haut und der Seele.
»Dr. Helen Wheeler«, sagte Ren.
»Wie bitte?«
»Dr. Helen Wheeler. Ich muss unbedingt mit ihr sprechen. Ich …«
Ich glaube nicht, dass ich die Nacht sonst überstehe.
Die Frau schenkte ihr ein Lächeln, das so viel bedeutete wie: Gott schütze die psychisch Kranken.
»Hallo, Ren«, sagte Helen, als sie das Wartezimmer betrat.
»Hallo, Helen. Tut mir leid, dass ich mich verspätet habe.«
Helen führte sie ins Sprechzimmer und schloss die Tür. »Endlich lassen Sie sich mal wieder blicken.«
»Ja«, sagte Ren. »Das hat nichts damit zu tun, dass Gary Dettling mich dazu gezwungen hat …«
Helen lächelte. »Ein bisschen Druck ist wahrscheinlich nicht schlecht. Setzen Sie sich. Wie geht es Ihnen?«
Ren antwortete nicht.
»Möchten Sie über das sprechen, was passiert ist?«, fragte Helen.
»Nein«, erwiderte Ren.
»Kein Problem.«
»Agentin im Schockzustand, die nicht über die Schießerei sprechen kann.«
»Ja«, sagte Helen. »Das erlebe ich nicht zum ersten Mal.«
»Aber Sie haben alle wieder hingekriegt, nicht wahr? Jedes Mal.«
Helen lächelte. »Klar.«
Sie schwiegen lange Minuten.
»Okay«, sagte Ren dann. »Ich habe Vincent verlassen. Ich habe Billy verlassen. Ich stand vor dem Scheitern einer komplizierten Ermittlung. Ein längst abgeschlossener Fall, der mir fast den Verstand geraubt hat, verfolgt mich wieder. Ich vermisse Vincent. Und ich kann einfach nicht glauben, was mit Jean Transom passiert ist. Ich kann nicht glauben, dass da draußen Leute herumlaufen, die so etwas tun. Und ich kann nicht glauben, wie leicht es für mich ist, bei alledem keine Emotionen zu spüren.« Ren brach in Tränen aus.
Helen reichte ihr ein Kleenex und ließ sie weinen. Sie schaute nicht
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