Weiße Stille
auf die Uhr.
»Es … tut mir leid …«, stammelte Ren.
»Das muss es nicht.«
»Ich habe das Gefühl, als würde alles zusammenbrechen.«
»Warum haben Sie dieses Gefühl?«
»Alle Menschen, die in meine Nähe kommen, werden verletzt oder sterben.«
»Ren«, sagte Helen freundlich. »Das ist nicht wahr.«
»Doch. Ich mache alles kaputt. Ich reiße die Menschen ins Verderben.«
»Ich verstehe, warum Sie so empfinden, Ren. Sie haben eine Menge durchgemacht. Und wahrscheinlich sind Sie schon seit längerer Zeit völlig ausgebrannt.«
Ren nickte.
»Sie haben großartige Arbeit geleistet, Ren. Sie haben sich vorgenommen, den Fall zu lösen, und Sie haben es geschafft. Und ganz nebenbei haben Sie noch einen anderen Fall gelöst, der Ihnen gar nicht übertragen worden war.«
»Ja. Es ist sehr professionell, sich ablenken zu lassen.«
»Ren, jeder wird in seinem Job abgelenkt. Bei uns führt das aber nicht zwangsläufig dazu, Leute zu verhaften.«
Ren schniefte. »Ich brauche noch ein Kleenex, bitte.«
Helen reicht ihr eins. »Hören Sie auf, sich Vorwürfe zu machen.«
»Sehen Sie mich an.«
»Das möchte ich nicht. Ich möchte, dass es Ihnen besser geht. Vielleicht sollten wir mal einen Blick darauf werfen, wie Sie früher waren.«
Ren starrte auf den Boden. »Nein, danke.«
»Glauben Sie, Sie haben gespürt, dass Sie Ihr Vertrauen verloren haben?«
»Ich bin FBI-Agentin«, erwiderte Ren.
Helen lächelte. »Jetzt mal im Ernst.«
»Ich bin nicht paranoid. Da draußen waren Leute, die mich schnappen wollten …«
»Wirklich? Haben Sie nicht auch Bedenken über Paul, Billy und einmal sogar über Vincent geäußert?«
»Sie haben mir alle etwas verheimlicht.«
»Jedenfalls haben sie keine Jagd auf Sie gemacht. Es gab keine große Verschwörung, um Ihre Karriere oder Ihr Leben zu zerstören.«
»Manchmal hatte ich aber den Eindruck.«
»Das kann ich verstehen.«
»Muss ich in diesem Job nicht ein bisschen paranoid sein?«, fragte Ren.
»Vielleicht, aber was ist mit den anderen Breichen Ihres Lebens? Da nicht. Und alles hängt miteinander zusammen, alles ist verflochten. Erkennen Sie das?«
»Jedenfalls hat jeder zwei Seiten«, sagte Ren. »Jean Transom – zwei Menschen. Malcolm Wardwell – zwei Menschen. Jason Wardwell, Charlie Barger, Billy Waites, Paul Louderback …«
»Ich weiß nicht, wer diese Leute sind, aber …«
»Ich nehme mich so, wie ich bin.«
»Ja, manchmal sind Sie so glücklich, dass Sie am liebsten jubeln würden, und dann wieder kommt die dunkle Seite zum Vorschein. Merken Sie, wie Sie das runterzieht?«
»Im Augenblick bin ich ziemlich ausgeglichen.«
Helen schaute sie an.
»Wirklich. Es geht mir gut.« Tränen liefen Ren über die Wangen.
»Für Sie gibt es keine Mitte, Ren. Ist Ihnen das klar?«
»Bitte hören Sie auf, mich ständig zu fragen, ob mir dieses oder jenes klar ist.«
»Entweder liebt Sie jemand oder er hasst Sie«, fuhr Helen fort. »Es gibt keinen Raum für jemanden, der Sie nur verärgert. Oder Sie vielleicht enttäuscht. Die meisten Menschen bewegen sich irgendwo in der Mitte dieses Spektrums und nicht an den beiden äußeren Enden, Ren.«
»Ja, darum heißt es auch bipolare Störung …«
Verdammt.
Helen wartete.
»Ren, Sie wissen, dass Sie zu Extremen neigen.«
»Darum bin ich hier«, sagte Ren. »Und darum bin ich noch immer auf der Suche nach bedingungsloser Liebe.« Sie stand auf. »Ich muss los. Danke.«
Helen erhob sich ebenfalls. »Alles in Ordnung?«
»Das wird schon wieder.« Ren zeigte auf den Rezeptblock und den Stift in Helens Hand. »Ich möchte im Augenblick keine Medikamente. Ich verspreche Ihnen aber, ich komme wieder, wenn ich welche brauche. Und ich gebe Ihnen meine Einwilligung, Gary anzurufen und mit ihm zu sprechen. Was immer er sagt, ich werde mich danach richten.«
Helen zögerte. »Okay, Ren. Machen wir es so.«
»Danke. Und machen Sie sich keine Sorgen. Ich habe einen Plan.« Sie lächelte. »Wie die meisten Verrückten.«
Helen lächelte ebenfalls. »Was für einen Plan?«
»Mich mit einem Freund zu treffen. Dann kann ich zur Abwechslung einmal diejenige sein, die sich um einen anderen kümmert.«
74.
Ren fuhr durch Clear Creek County und dachte an den krummen Mann, der gefoltert, ermordet und in den Fluss geworfen worden war. Domenica Val Pando war zu seiner Familie gegangen, hatte die Hände seiner Mutter in ihre genommen und ihr versprochen, seine Behandlungskosten zu bezahlen, wenn er für sie arbeiten
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