Weißer Fluch: Band 1 (German Edition)
bald erfahren. Wenn sie aus dem Gefängnis kommt, muss sie umsichtiger handeln, was sie meiner Meinung nach bestimmt nicht vorhat.
Ich erkenne keine Gesichter mehr aus der Highschool. Neulich hat auf der Straße jemand behauptet, er würde mich kennen. Ich habe ihm erzählt, ich wäre Barrons Zwillingsbruder und hätte eine andere Schule besucht. Ich muss mir das Jahrbuch ansehen.
Philip ist anstrengend wie immer. Er tut zwar so, als wäre er fest entschlossen, das Unvermeidliche zu erledigen, aber er ist es nicht. Das ist nicht nur eine Schwäche, sondern ein unablässiges, kindisches Bedürfnis zu glauben, er wäre gegen seinen Willen manipuliert worden, statt zuzugeben, dass er auf Macht und Privilegien aus ist. Es wird von Tag zu Tag schlimmer, aber Anton vertraut ihm auf eine Weise, wie er mir nie trauen wird. Anton weiß aber auch, dass ich meinen Teil hundertprozentig erledige, was er von Philip wohl kaum behaupten kann.
Vielleicht reicht das Geld, das wir bekommen, um Mom eine Weile unter Kontrolle zu halten. Wenn das hier erst mal vorbei ist, schuldet Anton uns alles.
Dort hörte der Eintrag für heute auf, aber beim Durchblättern sehe ich, dass er in den letzten Wochen wahllose Kleinigkeiten, Gespräche und Gefühle aufgeschrieben hat, als würde er davon ausgehen, dass er sie vergessen wird.Vorsichtig klappe ich den Laptop auf– wer weiß, welche neuen seltsamen Dinge mich dort erwarten–, aber er ist im Ruhezustand, auf der Seite mit meinem YouTube-Debüt.
Das Video wurde mit einem Handy gedreht und die Aufnahme ist entsprechend körnig. Man sieht nur eine blasse Figur ohne Hemd, aber ich zucke zusammen, weil es aussieht, als würde ich jeden Moment die Balance verlieren. Im Hintergrund schreit jemand » Spring! « und die Kamera schwenkt auf die Zuschauermenge. In diesem Moment entdecke ich sie. Eine weiße Gestalt im Gebüsch. Die Katze leckt ihre Pfote. Wie ein weißer Fluch. Die Katze, hinter der ich im Traum her gelaufen bin. Ich starre auf das Video und versuche zu verstehen, wie eine Katze aus meinem Traum– eine Katze, die jener Katze aufs Haar gleicht, die an meinem Fußende geschlafen hat– in jener Nacht wirklich da gewesen sein konnte.
Ich nehme das Notizbuch vom Tisch und blättere zu dem Tag zurück, an dem Barron das Video hochgeladen hat.
15. März
Frühstück: Eiklar
1 Meile gelaufen
Beim Aufwachen gut gefühlt. Nasenhaare geschnitten.
Kleidung: dunkelblaue Jeans (Monarchy),
Mantel, blaues Hemd
( HUGO )
In C .s E-Mail eingeloggt und das Video gefunden. Zeigt ganz klar L, aber keine Hinweise auf ihren jetzigen Aufenthaltsort. C ist in dem alten Haus, aber G ist auch da und hat ein Auge auf alles. P sagt, er will sich darum kümmern. Das ist alles seine Schuld.
Hüte dich vor den Iden des März. Was für ein Witz. Ich habe ihr Halsband gefunden, aber keine Ahnung, wie sie es abgestreift hat. P hat es bestimmt nicht richtig angelegt. Das muss ich nutzen, um einen Keil zwischen P und A zu treiben.
Ich muss die Sache unter Kontrolle bringen.
» Kontrolle « ist doppelt unterstrichen, beim zweiten Mal so heftig, dass die Seite ein Loch hat.
Ich starre auf den Eintrag, bis die Worte vor meinen Augen verschwimmen. C heißt Cassel– es geht um das Video von mir auf dem Dach. P muss Philip sein. A könnte Anton sein, weil Barron ihn vorher schon erwähnt hat. Einen Augenblick grübele ich über G, ehe ich kapiere, dass es für Großvater steht. Aber L? Mir fällt sofort Lila ein, aber das ist unmöglich.
Ich nehme den Laptop und lasse das Video von mir noch mal laufen, ein Einzelbild nach dem anderen. Die Zuschauer sind in der Menge kaum zu erkennen, weil die Kamera so schnell über sie hinweg schwenkt, dass alles verschwommen wirkt. Die einzigen Gesichter, die ich klar sehe, gehören Schülern. Keine Lila. Keine toten Mädchen. Niemand, der nicht dorthin gehört. Nichts und niemand mit einem Halsband.
Das einzige Wesen in diesem Video, das ein Halsband tragen könnte, ist die Katze.
Ein Fluch, den nur du brechen kannst.
Die Vorstellung ist so absurd, dass ich tatsächlich grinsen muss.
Ich will ins Badezimmer, um mein Gesicht mit Wasser abzukühlen, aber auf dem Weg dorthin komme ich an einer Tür vorbei, hinter der es streng nach Ammoniak riecht. In dem Raum steht ein Katzenkäfig aus Metall, direkt am Fenster. Die Klapptür ist offen. Das Zeitungspapier, das in den Käfig gestopft und daneben ausgelegt wurde, ist fleckig. Dem Geruch und der Gelbfärbung nach zu
Weitere Kostenlose Bücher