Weißer Fluch: Band 1 (German Edition)
bereits kleine Perlen. Wetten, wenn ich mit meinen Zähnen darüberkratzen würde, würden sie sich als echt herausstellen. Unbewusst fasste sie sich an einen Ohrring, als könnte sie Gedanken lesen. » Die wurden mit einer Ohrpistole gemacht, als ich sieben war « , sagte sie. » Meine Mom hatte mir Eis versprochen, wenn ich nicht weinen würde, aber ich hab trotzdem geweint. «
» Und jetzt willst du noch mehr Löcher, weil du glaubst, der Schmerz würde dich von dieser nervigen Feier ablenken? Oder weil es dir besser geht, wenn du mich abstechen kannst? «
» So ähnlich. « Sie setzte ein rätselhaftes Lächeln auf, ging ins Badezimmer und kam mit einem dicken Wattebausch und einer Sicherheitsnadel zurück, die sie auf der Minibar ablegte. Dann holte sie eine Flasche Wodka heraus. » Hol mal Eis aus der Maschine. «
» Hast du keine Freunde– das soll nicht heißen, wir wären keine Freunde, aber– «
» Das ist kompliziert « , erklärte sie. » Jennifer kann mich nicht ausstehen, weil Lorraine und Margot ihr irgendwas erzählt haben. Sie denken sich immer was Neues aus. Ich will nicht über sie reden. Ich will Eis. «
» Du bist die reinste Tyrannin « , sage ich.
» Eines Tages muss ich Leute rumkommandieren können « , erwiderte sie, ohne mit der Wimper zu zucken. » So wie Dad. Außerdem weißt du schon lange, wie tyrannisch ich bin. Du kennst mich doch. «
» Wie kommst du eigentlich darauf, dass ich Ohrlöcher haben möchte? «
» Mädchen finden Ohrlöcher sexy. Außerdem kenne ich dich auch. Du lässt dich gern rumkommandieren. «
» Vielleicht, als ich neun war « , sagte ich, aber ich nahm den Kübel und holte Eis.
Lila ging zur Kommode, schwang sich hinauf und fegte einen Haufen CD s, Unterwäsche und gefaltete Geldscheine hinunter.
» Komm her « , flüsterte sie dramatisch. » Du musst erst das Streichholz anzünden und dann die Nadel in die Flamme halten. So, siehst du? « Lila zündete das Streichholz an und drehte die Nadel im Feuer. Ihre Augen leuchteten. » Dann wird sie schwarz und schillert. Jetzt ist sie steril. «
Ich schob meine wirren schwarzen Haare zur Seite und hielt ihr den Kopf wie ein williges Opferlamm hin. Als sie das Eis an mein Ohr drückte, erschauerte ich. Sie hatte die Beine leicht gespreizt, und ich musste zwischen ihre Knie rücken, damit sie an mein Ohr kam.
» Halt still « , sagte sie. Ihre Finger fühlten sich kalt an. Ich sah zu, wie schmelzendes Eiswasser über ihr Handgelenk lief und von ihrem Ellbogen tropfte. Wir warteten beide in aller Ruhe, wie bei einem Ritual. Nach ungefähr einer Minute ließ sie den Eiswürfel fallen, drückte die Nadel an mein Ohr und stach zu.
» Aua! « Im letzten Augenblick zuckte ich zurück.
Sie lachte. » Cassel! Die Nadel steckt halb drin, halb draußen! «
» Das hat wehgetan « , sagte ich einigermaßen erstaunt. Aber darum ging es nicht. Es war zu viel– diese Mischung aus scharfem Schmerz und dem sanften Druck ihrer Beine.
» Du kannst mir gleich noch mehr wehtun, wenn du möchtest « , sagte sie und schob mir die Nadel mit einem plötzlichen heftigen Stoß durch das Ohr. Ich holte keuchend Luft.
Sie glitt von der Kommode, um neues Eis für ihr eigenes Ohr aus dem Kübel zu holen. Ihre Augen funkelten. » Mach mir eins ganz oben. Du musst fest drücken, damit die Nadel durch den Knorpel geht. «
Ich hielt die Sicherheitsnadel in die Flamme und stieß sie in die Haut über den Ohrlöchern, die sie schon hatte. Lila biss sich auf die Unterlippe, aber sie gab keinen Laut von sich, obwohl ihr die Tränen kamen. Sie krallte lediglich ihre Finger in die Cordstreifen meiner Hose, als ich zustach. Die Nadel bog sich ein wenig, und ich hatte schon Angst, dass sie nicht durchgehen würde, als sie plötzlich mit einem hörbaren Plopp durchrutschte. Lila machte ein ersticktes Geräusch, und ich schloss behutsam die Sicherheitsnadel, sodass sie wie ein schicker offizieller Ohrring an der Spitze ihres Ohrs hing.
Lila tunkte den Wattebausch in Wodka, um das Blut abzuwischen, und goss uns beiden einen ordentlichen Schuss ein. Ihre Hände zitterten.
» Herzlichen Glückwunsch « , sagte ich.
Ich hörte Schritte vor der Tür, aber Lila schien sie nicht zu bemerken. Stattdessen kam sie näher. Ihre Zunge war so heiß an meinem Ohr wie ein Streichholz, und ich zuckte erstaunt zusammen. Ich hatte es noch gar nicht richtig kapiert, da streckte sie mir schon die Zunge heraus und zeigte mir mein eigenes Blut.
In diesem
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